credit, where credit is due

Es ist Samstag. Für gewöhnlich ein freier Tag – zum Entspannen, zum Abschalten. Gemütlich aufstehen, frühstücken und auf Tour gehen. Hier ist es sieben Uhr morgens. Statt frischer Luft zieht der Zigarettenqualm in unser Zimmer. Mitarbeiter und Senioren rauchen direkt vor unserem Fenster. Auf unsere Bitte, diese Rauchecke zu verlegen, wurde nicht eingegangen. Der Stammplatz der Bewohner sei unveränderbar. Ich ziehe meine Decke über den Kopf. Ignoriere das Geschrei draußen, den Lärm in Küche und Waschraum. Aber auch die gute flauschig warme Bettdecke von zu Hause hält einen solchen Krach nicht ab. Aufstehen um 7.10 Uhr, Samstagmorgen.

Zu zweit leben wir noch immer auf engstem Raum im Chaos. Mit unausgepackten Koffern, ohne Schrank und ohne Privatsphäre. Immer wieder werden wir vertröstet. Nur noch eine Woche müssten wir auf unsere neue Unterkunft warten. Es sei schließlich schon alles geregelt. So läuft das jetzt seit 35 Tagen. Wir kämpfen jeden Tag erneut, warten und hoffen auf Besserung und machen das Beste draus.

2012 Latino Heritage Month

Im schönsten Rock stand ich Dienstag Nachmittag in der Lobby und wartete auf meine Verabredung. In neunzig Minuten sollte es losgehen. Noch war genügend Zeit und ich wartete geduldig. Inzwischen habe ich mich an die Unpünktlichkeit der Amerikaner gewöhnt und gehe Termine etwas lockerer an.

Im Rathaus deP1000744_2r Stadt sollte der „2012 Latino Heritage Month“ gefeiert werden. Ein Event für alle Amerikaner mit lateinamerikanischer Herkunft. Der Bürgermeister von San Francisco City und Umgebung Ed Lee übergab den „2012 Latino Heritage Award“ an ganz besonders aktive Latinos im Bereich Bildung, Business, Kunst und Kultur, Gesellschaft, Gesundheit und Medizin, Medien sowie Wissenschaft. Eine besondere Ehre und ein ganz besondere Abend für alle Beteiligten.

17.30 Uhr. Zum fünften Mal rief ich meinen Begleiter an. Und tatsächlich: mit einer Verspätung von über 96 Minuten hielt ein Taxi genau vor der Tür. Sechs Minuten nach Veranstaltungsbeginn.

Das Rathaus ist ein unglaublichP1000802_2 pompöses Gebäude. Die Architektur einfach und schick. Als ich den Empfangsbereich betrat, musste ich durch eine Sicherheitskontrolle durch. Jacke, Tasche, Schmuck und andere Kleinigkeiten mussten abgelegt werden. Ich selbst wurde durch einen Body-Scanner geschickt. Wie immer piepste das Gerät. Die Security sah mich skeptisch an. Ich grinste, machte große Augen und zwinkerte ihn an. Mit einer kleinen Kopfbewegung verwies er auf die vor mir liegende Klamotten. Ich griff nach ihnen ohne wegzuschauen, legte meinen Schmuck wieder an, griff nach meiner Tasche und eilte schnellen Schrittes den anderen hinter her.

P1000761_2Der Festsaal war hell erleuchtet. Auf der kleinen Bühne spielten Musiker lateinamerikanische Musik, im Hintergrund ein Rednerpult und traditionell die Fahnen der USA, Kaliforniens und San Franciscos – wenn auch hinter schussfestem Glas. Für die Zuschauer gab es in Reihe aufgestellte Klappstühle aus hartem Holz. Klein und unbequem. Am Ende des Saals wurde ein Buffet aufgebaut mit den besten kalifornischen Weinen und einer Vielzahl lateinamerikanischer Snacks. Nach und nach füllte sich der Saal. Je unpassender und weniger hübsch gekleidet, umso mehr Geld schienen die Menschen zu haben. Die obere Gesellschaft versammelte sich hier. Und auch an Journalisten für Fernsehen und Zeitung mangelte es nicht.

Ehre, wem Ehre gebührt

Das Programm war kurz und knackig. Die Reden nicht zu lang oder gar langweilig. Die Geehrten wurden mit ihren Leistungen und Programmen, für die sie sich engagieren, vorgestellt. Im Gegenteil zu Deutschland jedoch war dies weniger wichtig. Viel interessanter war ihr Familienstand. Der eine war Vater von vier Kindern, ein guter Ehemann und Koch. Im Dachgeschoss die 90-jährige Mutter. Ein weiterer engagiert sich freiwillig in der Schule seiner Tochter zum weihnachtlichen Basteln und feiert jeden Sommer die schönsten Prinzessinnen-Partys. Zum Schluss die 24-jährige Studentin, deren Ehemann treu der US-Armee dient. Sie träumt von der Adoption ihres ersten Kindes aus Äthiopien. Beeindruckend, nur wurde mir bei vielen der Preisträger nicht klar, wofür sie nun wirklich den Award P1000799_2erhalten hatten.

Es war ein wunderbarer Abend. Nicht Jeder darf den „Mayor of the City and County of Sa Francisco“ so hautnah erleben, wird zu Fotos mit berühmten Moderatoren des amerikanischen Fernsehens hingezogen und schüttelt Politikern und außergewöhnlichen Musikern mal eben so die Hand. Ich hatte die Möglichkeit dazu. Fünf Wochen sind nun schon vergangen. Eigentlich bin ich stolz auf all‘ das, was ich bisher in San Francisco schon erleben durfte.

one hundred percent America

Noch vor einem Monat  schien das ständige Frage – Antwort – Spiel nach Befinden und Gemütszustand angenehm. Die Menschen zeigten Interesse, hießen uns willkommen. Mit der Zeit wurde es anstrengend. Die Fragen häuften sich, schienen nicht ernst gemeint und rein flüchtig zu sein. Am Ende der dritten Woche habe ich angefangen, abzublocken. Ein Nicken oder Lächeln genügte. Jetzt nach über einem Monat habe ich den Dreh raus. Der Trick besteht darin, den Anfang zu machen, die erste Frage zu stellen, von allein auf die Leute zu zugehen. So macht das kleine Frage – Antwort – Spiel  Spaß und mein Tag verläuft wesentlich lockerer und entspannter.

Inzwischen kehrt der Alltag ein. Wege und Handgriffe werden zur Routine, das Wochenprogramm wird immer mehr verinnerlicht, Termine und Gespräche werden lockerer angegangen als noch zu Beginn des IJFD‘s. So langsam sind mir die Senioren und ihre Lebensgeschichten vertrauter. Zeit, um über das Geschehen bei AgeSong hinaus zu schauen. Die U.S. Amerikaner sind bereit. Der sechste November steht kurz bevor. Tag der Präsidentschaftswahl.

Ein Mann für ganz Amerika

Es ist 16.30.  Feierabend. Von Ausruhen keine Spur. Mit Musik in den Ohren laufe ich schnellen Schrittes in Richtung Civic Center als ich auf eine Masse von Menschen stoße. Sie alle scheinen auf etwas zu warten. Überall Polizisten mit Waffen, Schusswesten, Schlagstöcken und natürlich großen schwarzen Sonnenbrillen. Parkende Busse und Journalisten an jeder Ecke. Auf der anderen Straßenseite das Bombenentschärfungskommando und die Leute vom Fernsehen. Ein Anschlag war es nicht, auch kein Attentat. Die Menschen kommen von überall her, aus jeder Nachbarschaft, ob arm, ob reich – einfach jeder. Sie alle wollen Karten, die Billigste für die letzte Reihe kostet 100 Dollar. Eine Frau hebt vor meinen AugeP1000732_2n energisch ein Schild nach oben: „Four more years!“ ruft sie mit allem, was ihre Stimme hergibt. Auf ihrem blauen T-Shirt steht in großen roten Buchstaben ‚Obama‘ geschrieben. Die Menge vor dem Symphonie-Theater wartet auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.

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Der Platz vor dem Rathaus füllt sich. Nicht nur mit Obamas Befürwortern. Menschen protestieren gegen den Krieg im Afghanistan, den Cannabisanbau oder die enorme Kontrolle im Staat.

Die Amerikaner leben diese Wahl. Sie zeigen offen, was und wen sie wollen. Nichts bleibt geheim, kein Getuschel und keine Heimlichtuereien wie auf deutschem Boden. Der Wahlkampf wird zur Party. Auf dem Rasen Artisten, die bis zu drei Meter lange Seifenblasen entstehen lassen. Fanartikel werden verkauft, darunter Poster, Buttons und T-Shirts. Laute Musik spielt im Hintergrund. Ein junger Herr mit Base-Cap und Caprihose kommt mir entgegen. In der Hand trägt er ein kleines Körbchen. Ich werfe einen Blick hinein und bin fasziniert. Er drückt mir einen kleinen Obama-Gummi-Kopf in die Hand – ein grinsendes Abbild des Präsidenten als Spardose für jedermann. „Fünf Dollar das Stück, drei für zehn.“ Der Mann sah  mich lächelnd an. Zwei weiter Frauen schauen interessiert in den Korb. Begeistert nehmen sie die Köpfe heraus und posen gerne für Fotos.  Aber trotz aller Bemühungen schaffen sie es nicht, mich vom Kauf eines solchen Erinnerungsstückes zu überzeugen.

Ich schaue mich um. Die Menge tobt. Die Atmosphäre ist unbeschreiblich. Ich komme ins Gespräch mit Obama-Anhängern. Eine Frau zieht mich auf ihre Seite des Bordsteines und versucht mich für Romney zu begeistern. Der Mann mit dem Körbchen voller Köpfen erlöst mich aus dem Redeschwall der eifrigen Wählerin. „Drei Dollar für die Lady aus Deutschland.“ Na gut, überzeugt. Jetzt besitze ich meinen ganz persönlichen grinsenden Obama auf dem Nachttisch.P1000700_2

90 Minuten später. Erste Zuschauer werden an die Theaterkasse gebeten. Glücklich winken sie mit ihren Tickets. Sie sind erleichtert, eine der Wenigen sein zu dürfen, die Obamas Rede live miterleben werden. Auf der anderen Seite stehen Anzugträger und Frauen in ihren schönsten Abendkleidern. Ehrengäste, Sponsoren oder Gefolge des Präsidenten. Auch sie müssen anstehen und warten. Barack Obama hat das Theater bereits über einen Hintereingang betreten. Doch hier weiß noch niemand etwas davon.

Die Sonne geht langsam unter. Es wird kalt. Vor meinem Heimweg bewundere ich noch einmal die riesig bunten Seifenblasen. Ich freue mich auf den sechsten November. Bis dahin werden die Menschen wohl weiter für ihren alten oder neuen Präsidenten kämpfen. Immer und überall. Und mit vollem Engagement.

the special place

Dass San Francisco die besonders spezielle Stadt der USA sei, wurde mir nun schon einige Male überschwänglich nahe gelegt. So einzigartig, so unglaublich und so  sonderbar soll die Stadt an der Westküste mit seinen rund 800.000 Einwohnern sein. Auch nach einem Monat bin ich noch immer auf der Suche nach dieser Einzigartigkeit, die mich so verzaubern soll.

Fleet Week

Events gibt es hier wie Sand am Meer. Dem einen Festival folgt das Nächste, Musikboxen und Mikrophone werden am Wochenende bis zum Qualmen überstrapaziert. Ballett, Symphonie und Oper streiten sich um Presse und Publikum. Das Highlight der ersten Oktoberwoche: die Fleet Week.

Menschen und Massen kamen an diesem Wochenende nach San Francisco um U.S. Navy und Marine Corps in vollem Glanz zu erleben. Wettstreit der Segel- und Rennboote im „America’s Cup“, Präsentationen der schönsten Millitärschiffe im San Pablo Bay und als Höhepunkt die Flugshow der bereits über amerikanische Grenzen hinaus bekannten „Blue Angels“ –  Kunstflugstaffel der U.S. Navy.

Fast 90 Minuten brauchten meine Mitfreiwillige und ich, um von unserer Haustür zum Fishermen’s Wharf zu gelangen. Die Fleet Week ist das Event schlecht hin. Seit 1981 traditionell in der Stadt am Pazifik. Man hatte Besucher von überall her erwartet. Es wäre also der perfekte Zeitpunkt gewesen, um Straßenbahnen mit zwei Wagons oder gar extra Busse einzuführen, damit dem bevorstehenden Verkehrschaos vorgebeugt werden konnte. Nun ja, warum einfach, wenn es auch kompliziert geht.

In der Straßenbahn lernte ich  Hank kennen. In den letzten vier Stunden hatte er als freiwilliger Helfer Touristen und Besuchern der Fleet Week in den verschiedensten Zügen geholfen, den Weg zum Fishermen’s Wharf oder zur Golden Gate Bridge zu finden. Jetzt hatte er Feierabend und nur noch einen Besucher, dem er unbedingt helfen musste: mich. Ein Lächeln. Ein Wort. Ein Handzeichen. Ich hängte mich an seine Fersen, während er schnellen Schrittes durch die Massen fegte. Hier und da ein kleiner Hinweis zu Mc Donalds, Wachsmuseum und Co. In kürzester Zeit erreichten wir den Strand, wo sich schon unglaublich viele Leute tummelten. Ab und zu ein Blick nach hinten, ob mich meine Mitfreiwillige noch nicht verloren hatte. ‚Entschuldigung, dürfte ich mal? – Danke. Ähm, könnte ich da mal bitte durch? – Vorsicht. – Ja, ich mP1000630_2üsste da mal vorbei. – Achtung, da steht ein Bier. – Sorry…‘ Ich ließ meine Augen nicht von Hanks Base Cap. Irgendwann stand ich zwischen spielenden Kindern und Baseball-Fans im Sand. „Werd sandig, werd dreckig. Du bist hier bei der Fleet Week. Das gehört dazu!“ Hank grinste mich an. Ok. Wenn er das so sagte…

Das Vorprogramm war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns später erwarten würde. In der Zwischenzeit zeigte uns Hank, wie gut amerikanische Schokolade schmecken kann, welches Restaurant das amerikanischste Fast Food zubereitet und welche Schleichwege die Günstigsten sind, um diese Menschenmenge zu umgehen. Er lud mich auf meinen  ersten original kalifornischen Wein ein und pünktlich zu den ‚Blue Angels‘ saßen wir wieder im Sand.

The Blue Angels

Mit bis zu 600 Meilen pro Stunde rasten die Flieger aufeinander zu. Ein Ausweichen schien nahezu unmöglich. Die Piloten forcierten einander, steuerten gradewegs auf einander zu. Doch dann ein Aufatmen. In letzter Sekunde eine 90 Grad Wendung und sie kreuzten sich haarscharf. Für einen kurzen Augenblick verschwand das Sechstett hinter den Wolkenkratzern San Franciscos. Nur ein enormer Geräuschpegel der Flugzeuge war noch zu hören.

Von rechts als Linie, als Pfeil, über einander, unter einander. Zu P1000653_2viert, zu sechst, als Doppel. Sie kamen als Block angedüst und trennten sich wie Silvesterraketen am blauen Himmel, Dunstwolken hinter sich herziehend. Sie malten Kreise und Linien in den Himmel. Mit viel Fantasie waren Zeichen und Symbole erkennbar. Ein Feuerwerk der U.S.Navy Kunstflieger bei strahlend blauem Himmel zwischen Golden Gate und Bay Bridge. Vielleicht wäre ich geblieben, hätte mich noch länger mit den Massen mitreißen lassen. Doch langsam ging die Sonne am Horizont unter und der eisige Wind ließ auch die letzte Sommerwärme verschwinden. Völlig durchgefroren kam ich wieder bei AgeSong an. Zurück bleibt meine Erinnerung an einen ganz besonderen Ort.

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Take it easy!

Es poltert und rumpelt, quietscht und knarrt. Reges Treiben herrscht auf den Fluren so kurz vor dem Wochenende. Meine Gruppe für autogenes Training war erfolgreich. Das Feedback zufriedenstellend, die Senioren völlig entspannt von ihrer kleinen Traumreise zurückgekehrt. Erleichtert schaue ich auf die Uhr. Noch 90 Minuten. Fast ein ganzer Monat ist nun schon vergangen. Dort leben und arbeiten, wo andere Urlaub machen. Ein Traum?

Da waren ungeregelte Arbeitsbedingungen, die ungeklärte Wohnsituation, das winzige Zimmer und zu wenig Ruhe. Nachdem wir am vergangenen Wochenende enttäuscht von Wohnungsbesichtigungen in Oakland zurückgekehrt waren, schienen Motivation und Enthusiasmus am ihrem Tiefpunkt angelangt zu sein. Die Wohnungen waren unsauber, kalt, von großen Hunden bewohnt oder zu teuer. Eines hatten sie jedoch alle gemeinsam: die unsichere und recht kriminelle Umgebung. Mit dem uns zur Verfügung gestellten finanziellen Budget war etwas anderes nicht möglich. Dass wir uns weigerten, dahin zu ziehen, lag auf der Hand.

Sommer, Sonne, Strand

Die vergangenen Tage waren heiß. Der „Indische Sommer“ zeigte sich mit aller Kraft von seiner besten Seite. Solche hohen Temperaturen bei nahezu Windstille in San Francisco erleben zu dürfen, ist äußerst selten. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Senioren ging es diese Woche samt Vanilleeis und Soda an den Strand. Eine Spezialität des Landes, so heißt es. Nun ja, das Vanilleeis allein tut es meiner Ansicht nach auch. Kaum in der ‚Crissy Field Picnic Area‘  angekommen, stand ich auch schon mit beiden Füßen im San Pablo Bay. Das Wasser war eisig, der leichte Wind angenehm warm. Sanft brachen die kleinen Wellen an den Felsen und Kinder quietschten vergnügt im Sand. Für einen kurzen Augenblick war alles vergessen. Lächelnd träufelte ich etwas Wasser auf meine Zunge um ganz sicher zu sein, dass es salzig ist. Unter der pompösen und stolzen Golden Gate Bridge ließen sich unzählige Segelboote treiben. Alcatraz lag in P1000517_2schönstem Sonnenschein mitten im San Pablo Bay. Das war San Francisco, wie ich es mir erhofft hatte. Einfach unbeschreiblich. Kein Foto und kein Video der Welt können einen solchen Moment festhalten. So etwas muss man selbst erlebt haben.P1000540_2

In Gedanken versunken lief ich am Strand entlang. Nach einer Weile traf ich einen unserer Bewohner und er beschloss, mir auf meinem Weg zum Fischersteg Gesellschaft zu leisten. Möwen begleiteten uns, die sich von dem recht starken Gegenwind treiben ließen. Das ein oder andere hübsche Bild entstand, während der Herr an meiner Seite zitternd mit seinen unendlich langen Fingernägeln meine Kamera hielt.

Auf dem holprigen Steg angekommen, war ich ganz fasziniert von einem großen Vogel, der weder Storch noch Pelikan war. Es störte ihn ganz und gar nicht, dass Touristen Fotos von ihm machten oder eine Möwe ihm nicht mehr von der Seite wich. Ein Stück weiter sah ich ganz neidisch einer Gruppe von Anglern zu und fand in einem kleinen Small-Talk heraus, dass ich nicht einmal eine Lizenz zum Fischen auf diesem Steg brauche. Also: Wer hat eine Angel und einen Kescher für mich? Und vor allem: Wer will meine potenziellen Fische haben? Von weitem beobachtete ein Seelöwe das Geschehen und genoss den Kontrast zwischen der heißen Sonne und dem kühlen Nass. Schade, dass auch die schönste Zeit irgendwann zu Ende ist.

P1000528_2Von Pfirsichen und Kokosnüssen

Was nützt es, immer wieder neu über das zu klagen, was nicht da ist, nicht stimmt oder nicht funktioniert? Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied, also Augen zu und durch. Mit etwas Geduld und Fingerspitzengefühl entstand nun der dritte Stundenplan. Mit offenen Augen und viel Verständnis saß uns Activity Director Sushi gegenüber. Sie hörte zu, unterbrach uns nicht. Eigene Ideen waren willkommen, auf Bitten seitens AgeSongs wurde über Kompromisse eingegangen. Ich freue mich auf das Plätzchenbacken zu Weihnachten, den monatlich stattfindenden Austausch zwischen amerikanischer und deutscher Kultur, einen kleinen Chor und meiner eigenen Gruppe für autogenes Training.

Das achtstündige „Organisationstraining“ für alle neuen Mitarbeiter am Donnerstag war nicht ohne. Weniger anspruchsvoll jedoch anstrengend. So viel ‚Peace, Love and Happiness‘ war einfach zu viel. Ich wusste, dass die Menschen hier viel auf Liebe und Frieden geben. Dies auch immer und zu jeder Zeit zum Ausdruck bringen wollen – es leben die Hippies von San Francisco – doch mir war das einfach zu viel des Guten. Waren somit Klischees über die deutsch Kühle und die amerikanische Offenheit bestätigt?

Die Menschen hier sind anders. Offen, freundlich, locker und herzlich. Der Eine mag es, dem Anderen ist das zu viel. Ich bevorzuge etwas mehr Abstand. Und auch unser kleiner Fahrer bei AgeSong wird lernen müssen, dass ständige Umarmungen, Fragen nach dem Gemütszustand meiner Eltern und das Abnehmen der auch noch so kleinsten Arbeit bei mir nicht unbedingt auf Gegenliebe stoßen. Aber er hat es nun besonders schwer mit mir: als Amerikaner mit südamerikanischem Blut und auf andere Männer stehend ist er jeden Tag so voller Frieden und Liebe, dass mein gestriges Ausweichen vor der fünften Umarmung des Tages ihn sehr mitgenommen hat. Ich bin gespannt, wann er sich von seinem Schrecken erholen wird und wieder mit mir reden möchte.

Zwei Straßen weiter und dann rechts

Es ist Freitag. Noch einmal umdrehen, die Zeit ignorieren. Warum musste es nachts hier immer  so furchtbar unruhig sein? Wieso mussten zwischen 12 und zwei in der Frühe Stühle lautstark verschoben werden und Telefonate und Zigarettenpausen genau vor unserem Fenster stattfinden? Das Fenster zu schließen ist schwierig. Dann wird es zu warm. Ist es geöffnet, erstickten wir im Qualm.

Leicht demotiviert saß ich gemeinsam mit meiner Mitfreiwilligen im morgendlichen Meeting. Nichts Neues, alles wie immer. Da wird über Zimmerwechsel, Hausbesichtigungen und Neuankömmlinge gesprochen. Wer braucht viel Aufmerksamkeit, wer einen Spaziergang und wie können kranke Patienten isoliert werden ohne ihnen ein Gefühl des Abschiebens zu vermitteln? 45 Minuten zogen sich sehr in die Länge. Bereits zuvor hatte ich erfahren, dass ich meine erste Gruppe für autogenes Training schon am frühen Nachmittag durchführen sollte. Das hieß für mich, in kürzester Zeit Musik raus zu suchen und den Text zum Vorlesen zu übersetzen. In Gedanken versunken hörte ich nur indirekt bei Gesprächen zu und antwortete nur knapp auf mir gestellte Fragen. Ja, es ging mir wie immer gut, ich bin wie jeden Morgen müde und schön, dass ein Appartement für uns gefunden worden war. Halt. Für uns wurde ein Appartement gefunden? Ich sah in ein breites Grinsen. Wann hatte er diese Nachricht erhalten? Erst gestern? Wusste er mehr als ich und vor allem: wo hatte er diese Information her?

Es dauerte keine fünf Minuten, da wusste auch ich aus erster Hand Bescheid. Sie hatten ein Appartement gefunden, unweit entfernt für drei Personen. Die Bilder waren viel versprechend. Waschmaschine und Trockner inklusive. Am Montag schauen wir es uns an. Wir halten die Daumen gedrückt für unser neues Heim zwei Straßen weiter und dann zwei Blöcke nach rechts.

Softly, softly catchee monkey!

Die dritte Arbeitswoche neigt sich dem Ende entgegen. Während die letzten Sonnenstrahlen auf die Erde fallen und der Wind durch Äste und Blätter streift, blicke ich zurück auf die vergangenen Tage. Es war nicht einfach. Hier und da gab es Unklarheiten und Sehnsucht nach der Heimat. Warum wusste keiner über uns, unser Kommen und unser Projekt Bescheid? Inwiefern lag es nun an uns, Kompromissbereitschaft zu zeigen? Wie viel Zugeständnisse müssen wir noch machen, auch wenn wir uns damit nur noch schwer abfinden können?

Aufpassen, reden, unterhalten und da sein. Ich bewundere jene Menschen, die Pflege und Fürsorge älterer Menschen zu ihrem Beruf gemacht haben. Viele der psychisch oder physisch eingeschränkten Senioren hier sind unglaublich liebenswürdig und warm. Jeder ist auf seine Art besonders und einzigartig. Und trotzdem ist es hart, ihnen jeden Tag in die Augen zu schauen und erneut freundlich und offen ihre Fragen zu beantworten: „Wer bist du? Was machst du hier?“ Und manchmal auch: „Wo bin ich hier? Wann gehen wir nach Hause? Wann kommt meine Familie?“ Die wahre Antwort wäre dann wohl: nie.

Die US-Amerikaner sind grade hier in Kalifornien sehr kommunikativ und hilfsbereit. Ob man einem Menschen einmal, zweimal, fünf- oder zehnmal am Tag begegnet, ist unwichtig. Auf die Frage, wie es einem geht und wie es so läuft, sollte man immer gefasst sein. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wirklich jedes Mal eine Antwort erwartet wird. Inzwischen reicht auch ein Nicken oder Lächeln.

Die Straßen von San Francisco

Auch wenn ich sortiert und sorgfältig mit T-Shirts, Hosen, Pullover und Röcken umgegangen bin, so kam auch ich nach knapp drei Wochen nicht mehr ohne Waschmaschine aus. Ich gebe zu, dass ich den öffentlichen Waschsalons durchaus skeptisch gegenüber stand und bis zum Schluss gehofft habe, rechtzeitig in ein eigenes Appartement umziehen zu können. Bei meinen nächtlichen Small-Talks mit dem Pflegepersonal hier habe ich herausgefunden, dass auch in Amerika viele Appartements neuerdings eigene Waschmaschinen im Haus haben. Nun blieb mir jedoch der Besuch im Waschsalon nicht mehr erspart. Mit mulmigem Gefühl kaufte ich Waschmittel und Weichspüler und ging die Straße hinauf.

Ein Mann kam herunter gehetzt. Gefolgt von zwei Weiteren in blauer Jeans und schwarzer Weste. Ein weißes Auto wurde mit einer Vollbremsung zum Stillstand gebracht und versperrte weiteren Fahrzeugen den Weg. Das laute Heulen der Polizeisirenen  kam immer näher. Irgendetwas stimmte hier nicht. Dann ging alles ganz schnell. Zwei weitere Männer rannten über die Kreuzung, gefolgt von Polizeiauto und Streife in Zivil. Der Polizeiwagen bremste. Sackgasse. Raus aus dem Wagen. Im Sprint hinter den Flüchtlingen hinterher. Einer von ihnen Stolperte und fiel zu Boden. Mit aller Kraft drückte ihn ein Beamter fest auf den Asphalt und legte ihm die Handschellen an. In 30 Zentimeter Luftlinie gingen wir an ihnen vorbei. Was war hier los?

Am Ende des Blocks rauchte und qualmte es. Eine Menschenmenge hatte sich am Spielplatz versammelt. Drei zusammengestoßene jedoch parkende Autos standen am Straßenrand. Ein weiteres war vollkommen zerstört. Die Beifahrerseite komplett eingedrückt stand es mitten auf dem Bürgersteig. Es war schwer zu erkennen, wie viele Personen sich im Unfallwagen befanden. Ein Feuerwehrmann setzte sich auf den Rücksitz, um den Fahrer zu beruhigen. Drei weitere versuchten den schwerverletzten Mann aus dem Wagen zu bergen. Hier stellten wir uns erstmalig die Frage, ob Feuerwehr und Rettungssanitäter wohl ein und die Selbe Aufgabe haben, denn nirgendwo war ein Rettungswagen zu sehen. Nur zwei Feuerwehrautos in Form unserer deutschen Rettungsfahrzeuge und ein großes Feuerwehrauto samt Leiter und allem drum und dran waren hier im Einsatz.

Es dauerte eine Weile bis der Fahrer aus dem Auto heraus gesägt worden war und ins Krankenhaus gebracht werden konnte. Er schien allein im dem Wagen gewesen zu sein. Wir jedoch ließen die schaulustige Menge bald hinter uns und betraten den Waschsalon. Auch hier machte sich die Hilfsbereitschaft der Amerikaner bemerkbar. Bald hatte ich den Dreh raus und kam 90 Minuten später mit trockener und duftender Wäsche zurück. Es funktioniert also tatsächlich.

Geduld heißt das Zauberwort

Es ist nicht selten, dass unsere Nächte doch recht unruhig und kurz verlaufen. Viele Senioren stöhnen im Schlaf, rufen nach Hilfe oder hauen mit den Fäusten gegen die Wand. Pfleger und Schwestern kommunizieren lautstark über den Flur hinweg und Alarme und Signale ertönen durchs Haus. Nach drei Wochen zerrten dieser Stress und diese Unruhe doch an Kraft und Nerven. Auch wenn in den kommenden Wochen viele neue Mitarbeiter und Senioren aufgrund der Umstrukturierungen innerhalb AgeSong’s kommen werden und dies hier Priorität haben wird, geben wir nicht auf für unsere Privatsphäre und Unterkunft außerhalb der Community zu kämpfen.

Ehrlich und bestimmt treten wir den Internen hier gegenüber. Wie es uns geht? Nun ja, wir arrangieren uns mit der Situation. Diese Woche haben wir die Initiative ergriffen und unsere Ansprechpartnerin auf Wohn- und Arbeitssituation angesprochen. Mit klaren Sätzen machten wir ihr klar, dass wir gerne helfen, mit den Bewohnern sprechen und bei ihnen sind. Doch nicht acht Stunden täglich. Noch einmal erklärten wir ihr Projekt- und Stellenbeschreibung, auf die wir uns beworben hatten. Noch einmal baten wir um einen Kompromiss, der unsere Vorstellungen und die Bitte der Community, die Pfleger zu unterstützen, vereint. Auch wenn es wieder locker abgetan wurde und wir mehrmals unser Anliegen wiederholen mussten, so kamen wir endlich ein kleines Stück voran. Wir entwickeln nun gemeinsam mit Activity Director Sushi unseren eigenen Stundenplan. Kunst und Kultur werden Hauptbestandteil sein, an Pflege und Fürsorge wird auch gedacht. Wir wollen nicht nur fordern müssen, wir wollen auch geben.

Ich bin froh, endlich sehen zu können, dass sich aktiv jemand der Suche eines Appartements für uns gewidmet hat. Vielleicht sind wir zu dritt, vielleicht zu zweit. Ob die wunderschöne East-Bay-Seite oder San Francisco City… Wer weiß? Das Jahr soll sowohl für AgeSong als auch für uns erfolgreich, weiterführend und Freude bereitend sein. Mit viel Geduld und Spucke fängt man eine Mücke. Und ich glaube, wir sind langsam aber sicher auf dem richtigen Weg dahin.

around the world

Bisher war San Francisco für mich Golden Gate Bridge, Cable Car und kitschig bunte Weihnachten. Eine Stadt von Fernsehfilm- und Serienimage geprägt mit Großstadtcharme nahe des großen weiten Ozeans. Auch wenn dieser Ort nach zwei Wochen nicht wirklich meinen Vorstellungen entsprach, so habe ich inzwischen neue Gegenden kennengelernt, die – sagen wir – durchaus sehenswürdig sind.

Ich esse keine Käfer – und nein, auch keine Würmer!

Um unseren zehn Quadratmetern Privatsphäre und dem ohrenbetäubenden Dauerlärm in der Community für eine Zeit zu entfliehen, stiegen wir bei schönstem Sonnenschein in den Bus. Dieses Wochenende unternahmen wir unsere erste Reise um die Welt. Nächster Halt: Asien. Um genauer zu sein, China. Nach New York hat San Francisco eines der größten Chinatowns Nordamerikas und ist somit Touristenattraktion schlecht hin. Zwischen Kitsch und Tantel, von Schirmchen und Fächern bis hin zum Mini-Buddha und zur original nachgemachten Tracht konnte jedes Besucherherz erfreut werden. Nun ja, wer es mag, kann sich daran erfreuen. Ich suchte vergebens nach der Tradition des Landes, der chinesischen Kultur und der Architektur und Kunst, die China so einzigartig macht.

Es war schade zu sehen, dass hier bis auf kleine Ausnahmen der Tourismus regiert. Menschen und Massen tummeln sich an den kleinen Ständen, die hier und da etwas besonders günstig verkaufen oder durch Glücksrad und Lose ziehen für Aufmerksamkeit sorgen. Meist sind es DvD’s oder technische Geräte, Fertignudeln und amerikanischer Bubble Tea. Hier und da erklingt ein Hauch Musik, wie man sie aus chinesischen Restaurants kennt. Aber um herauszubekommen, woher die Klänge kommen, fehlt die Sichtweite. Menschen drängeln, schieben und versuchen, den mitten auf der Straße stehenden Leuten auszuweichen.  Wer genau hinhört, kann ein Wirrwarr an Sprachen erkennen, ein bisschen Chinesisch, Englisch mit verschiedenstem Akzent, ein Deutscher amüsiert sich über das chinesische Bier und dem Spanier erscheinen die im Schaufenster aufgehängten Brathähnchen suspekt.

Eine Querstraße weiter erreichen wir die Gemüse- Obst- und Fleischstände Chinatowns. Kaum ein Satz Englisch wird gesprochen. Preise und Produkte sind durch Zeichen und Symbole gekennzeichnet. Hier werden wohl keine „Ausländer“ erwartet. Hier wird chinesisch verkauft, kommuniziert und gehandelt. Ein Verkäufer zeigt auf einen Korb voll brauner Kleinigkeiten. Ich schüttele den Kopf. Auch als er nach kleinen halbrunden Köstlichkeiten greift, winke ich ab. Ich esse keine Käfer – und nein, auch keine Würmer. Ich war mir sicher, dass er kein Wort von dem verstand, was ich sagte. Genauso wenig verstand ich sein Gebrabbel. Delikatesse hin oder her. Als mich zwischen Tomaten und Weintrauben der frisch geköpfte Fisch von der Seite anschaute, wollte ich so schnell wie möglich in meine Touristen-überschwemmte Straße zurück.

Was wäre ein Besuch in China ohne Drachen und Mythen?

Wir schauten uns noch einmal um und traten dann den Rückweg in Richtung Amerika an. Bevor wir China verließen hier und da noch schnell ein Foto mit Reishut, Drache und Hasen – warum eigentlich Hasen? P1000318_2 Plötzlich war unweit entfernt Musik zu hören. Eine Gruppe von zehn chinesischen Musikermädchen hatte uns eingeholt. Mit Trommeln, Klangspielen und in roter traditioneller Tracht gekleidet sollten sie den Anfang einer kleinen Parade darstellen, gefolgt von Prinz und Prinzessin, Artistenquartett und natürlich dem chinesischen Drachen. Stolz präsentierten viele kleine Kinder den großen Kopf und langen Schwanz des Mythos‘. Mit lautem Getrommel und Klingklang verschwand die Truppe in der Menge und wir ließen das Tor ins ‚Reich der Mitte‘ hinter uns.

Von Winnie Puuh im Disneyland zum Weihnachtsmann am Nordpol

Wer sich auf eine Reise in die USA begibt, der plant auch ordentlich Karenzraum in seinem Koffer ein. Shoppen ist wohl ein Muss für jeden. Da hier vorbildlicher Weise die Geschäfte sonntags öffnen, nahmen wir uns dies für den zweiten Tag des Wochenendes vor. ‚Macy’s‘ war das heutige Ziel. Das Einkaufszentrum schlecht hin. Es war schon von Weitem zu erkennen und somit nicht schwer zu finden. Viel interessanter als das pompöse Gebäude auf der anderen Straßenseite war jedoch ein kleiner Laden in der Nebenstraße mit der Aufschrift ‚Disney‘. Wer kann dazu schon nein sagen?

Der Laden glitzerte und funkelte. Freundliche bunt bemalte Wände, Soundtracks der Disneyklassiker spielten leise im Hintergrund. Links und rechts Kleider, Kostüme und Figuren. Spielzeug, wohin das Auge reicht, Puppen und Kuscheltiere an jeder Ecke. Ob Dumbo, Cinderella, Micky Mouse oder Winnie Puuh – jedes Kind findet hier sein ganz persönliches Idol. Und dann sah ich sie. In orange, gelb, grau, pink und braun, brav auf dem Regal sitzend zogen mich Winnie Puuh und seine Freunde aus dem Hundertmorgenwald in ihren Bann. Sie waren so groß und plüschig, kuschelig weich. Mit leeren Händen zurückkommen? Unmöglich. Unser neues Familienmitglied heißt I-Aah.

P1000351_2Natürlich betraten wir einige Minuten später ‚Macy‘s’ . Acht Etagen mit Kosmetik, Schuhen, Klamotten, aber auch Bettwäsche, Elektronik und Teppichen. Jeder Stil, jede Firma und jede Modekollektion der Stars und Sternchen war hier zu finden. Zwischen unbezahlbaren  Kleinigkeiten befanden sich Regale und Kleiderständer bis zu 75% reduziert. Um sich dort durchzufinden, braucht man mindestens drei Tage. Heute blieb es beim schauen und staunen. Ganz oben angekommen fanden wir uns zwischen Rudolph dem Rentier und dem Weihnachtsmann wieder. Willkommen am Nordpol. Von Weitem war alles prachtvoll geschmückt, alles glitzerte, glänzte und leuchtete. Je näher ich jedoP1000365_2ch diesen vielen dekorierten Weihnachtsbäumen kam, umso unweihnachtlicher wurden sie. Da hing Hello Kitty an dem einen, Disney Figuren an dem anderen. Ein weiterer Baum wurde der Hippie-Szene gewidmet mit Peace-Zeichen und bunten Blumen. Wer den guten erzgebirgischen Nussknacker kennt, wird etwas enttäuscht auf die amerikanische Kopie schauen und natürlich sind Räuchermännchen und Pyramiden nicht unbedingt Verkaufsschlager. Aber was nicht ist kann ja noch werden. Immerhin ist erst September. Ob es Ende Oktober auch einen Gruselbaum für Halloween geben wird?

Ich glaube jedoch, dass Weihnachten in San Francisco hell erleuchtet, bunt und vollkommen anders sein wird. Ob besser oder nicht – wer weiß. Auf einen Versuch lasse ich es gerne ankommen.

“Assertive!”

Ein Blick auf den Kalender verrät, dass nun bereits zwei Wochen vergangen sind. Noch immer ist unsere Wohnsituation ungeklärt. Sie suchen noch. Nun doch nach einem Appartement. Wir hoffen noch immer inständig auf zwei kleine separate Zimmer. Dies bleibt wohl eher Wunschdenken. So langsam findet sich die ein oder andere versteckte Ecke zum Telefonieren, Chatten, Filme gucken oder einfach nur Abstand nehmen. Das ist hier wirklich notwendig. Wohnen und arbeiten am selben Ort heißt, 24 Stunden am Tag Freiwillige zu sein ohne Auszeit. Immer lächelnd, immer zuvorkommend. Schon am frühen Morgen noch vor dem ersten Schluck ungenießbaren koffeinfreien Kaffees Offen sein für alles und jeden. Es ist nur übergangsweise, hieß es, so circa eine Woche. Die Dritte steht bereits in der Tür.

Der am Dienstag erstellte Stundenplan scheint alles andere als projektbezogen zu sein. Aufpassen auf mental eingeschränkte Senioren und Small Talk verdrängen Kunst und Kultur, Event- und Wochenplanung. Wir müssen die Leitung AgeSong’s verstehen. Als Freiwillige füllen wir ein Lack in der Pflege und Fürsorge der Bewohner. Dies sei eine Ausnahmesituation, natürlich nicht für ein ganzes Jahr. Und für wie lange dann? Ein Monat, ein Vierteljahr?

In einer E-Mail teilte ich unserer Ansprechpartnerin und pädagogischen Betreuerin vor Ort die momentane Situation mit und bat um Unterstützung. Unser Einsatzgebiet soll noch einmal geklärt und an die Projektbeschreibung angepasst werden. Sie würde sich nächste Woche darum kümmern.

Ein Schritt in die richtige Richtung?

Nachdem wir in den letzten Tagen immer wieder fragend von Pflegern und Krankenschwestern angeschaut worden waren spürten wir deutlich, dass wir überflüssig sind. Es verschlug uns genervt und gelangweilt in die hauseigene Bibliothek. Dort gab es vielmehr als nur Bücher. An einem kleinen Schreibtisch und am Laptop arbeitend, lernten wir Sharon kennen. Sie hörte sich all unsere Bedenken und Befürchtungen an, hatte Verständnis und  brachte mit weisem Ratschlag Licht ins Dunkle. Ein Gespräch musste her. Eine Klärung der Rahmenbedingungen, Einsatzbereiche und Vertragsinhalte. „Assertive!“ sagte sie. „Seid bestimmend, fordernd, selbstsicher, aber fair! Setzt euch durch. Ihr seid hier, weil AgeSong euch durch ein Projekt begeistert hat. Eine komplette Änderungen des Arbeitsfeldes hätten sie euch rechtzeitig und noch vor der langen Reise mitteilen müssen.“

Das gewollte Gespräch kam schneller als erwartet. Zwei Stunden später fanden wir uns im Büro des Community-Leiters Jim wieder. Er hörte sich alles in Ruhe an. Von unserem geplanten Einsatz am Wochenende, von dem wir erst kurzfristig und durch Zufall erfahren hatten, bis hin zum Füttern einzelner Bewohner. Ich bewundere jeden, der älteren und kranken Menschen mit solcher Unterstützung helfen kann. Mir bereitet diese Arbeit Probleme. Zu meinem Erstaunen wusste Jim weder genaueres von unserem neu erstellten Stundenplan noch hatte er mitbekommen, welche Aufgaben wir Tag für Tag  erledigen sollen. Er wollte alles noch einmal mit den zuständigen Interns besprechen, unseren Plan umstrukturieren und mehr an unser Projekt anpassen. Das dies bis dato noch nicht erfolgreich geschehen ist mag wohl daran liegen, dass weder unsere Bewerbungen noch die Stellenausschreibung jemals von den Mitarbeitern hier gelesen worden war. Von unserem Vertrag mal ganz abgesehen.

Wie es nun in Zukunft weiter geht, ist fraglich. Aus den Erfahrungen der letzten zwei Wochen heraus bin ich skeptisch bezüglich einer kurzfristigen Problemlösung. Wir werden sehen.

500 Wörter für die Welt

Die nächsten Tage kämpfe ich mit einer ordentlichen Erkältung. Ich versuche nicht zu sehr mit den Senioren in Kontakt zu treten, was sich als ziemlich schwierig erweist. Mit Hausmitteln dagegen anzukämpfen, lässt sich hier nicht realisieren – ohne Küche oder der Möglichkeit, Nahrungsmittel vernünftig zu lagern. Ich hoffe bis zum Wochenende fit zu sein. Wir wollen shoppen gehen und das zweitgrößte Chinatown nach New York besichtigen.

In Zukunft werde ich den ein oder anderen Text für die Internetzeitung „AgeSong today“ schreiben.  Hier die deutsche Version meines ersten veröffentlichten Artikels:

Zwei Wochen liegen bereits hinter mir. 14 Tage mit neuen Eindrücken, Menschen und neuem Umfeld.  Ein Jahr lang wird San Francisco mein zu Hause sein. Ich komme aus Deutschland und absolviere in den nächsten 12 Monaten meinen Internationalen Jugendfreiwilligendienst bei AgeSong Senior Communities.

AgeSong liegt das Befinden der Senioren sehr am Herzen. Im Vordergrund stehen nicht Krankheiten, mentale Probleme oder Schwächen. Mit einem auf die Senioren abgestimmten Wochenplan werden körperliche und psychische Fähigkeiten der Bewohner gefördert. Sie fit zu halten ist das Ziel. Sie sollen sich nicht abgeschoben oder allein fühlen. Durch das bilden kleiner Wohngemeinschaften in Doppelzimmern oder Gruppenaktivitäten wie Touren mit dem Van, einer Tea Party oder den wöchentlichen Poker Games werden die Senioren zu einer kleinen Familie.  Der individuelle Umgang mit jedem einzelnen hat mich beeindruckt. Hier wird die Meinung der Senioren respektiert, ihr Wille steht im Vordergrund, gezwungen wird hier niemand. Es kann sehr hart sein, wenn sich Wünsche ständig ändern, Stimmungen schnell kippen und Bedürfnissen nicht immer nachgegangen werden kann.

Dennoch lohnt sich jede Arbeit in dem Moment, wenn sie Lächeln, sich freuen oder einfach nur die Hand nehmen und sagen: „Danke“.  Ich werde bei AgeSong at Laguna Grove im kulturellen Bereich tätig sein. Mit Spiel, Sport und Spaß möchte ich den Senioren den Tag versüßen, mir von ihnen zeigen lassen, was leben in den USA bedeutet und auch ein Stück meiner Kultur weitergeben. Ich finde es schön auch hier zu sehen, dass man sich um die Menschen im Alter kümmert und sie lieb gewinnt. Sie werden akzeptiert, egal wie jung, wie gesund oder wie fit sie psychisch noch sind. Wenn ich einmal älter bin, hoffe ich auch auf solche Unterstützung. In Deutschland gibt es auch Institutionen wie AgeSong, die sich um die Senioren kümmern und für sie sorgen. Es ist nicht nur eine Unterkunft, ein Bett und etwas zu essen.  Es ist die Fürsorge, das Zusammensein und das Gefühl, wichtig zu sein. AgeSong Senior Communities zaubert jedem ein Lächeln ins Gesicht und bringt Senioren und Angehörigen Sicherheit und Verständnis entgegen.

„AgeSong has created a place of healing and support for the aging … a place where people feel valued“ – Family Member

Original: agesongtoday.com

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“Hi, gorgeous!”

Es gibt Tage, an denen möchte ich nicht aufstehen. Tage, wo jeder Fuzzel im Weg liegt und jeder Sonnenstrahl zu hell erscheint. Ein solcher Morgen erwischte mich heute.

Nachdem ich nun mitbekommen habe, wie hart die Arbeit mit körperlich und geistig eingeschränkten Senioren ist, habe ich heute eine ganz neue Seite entdeckt. Oft habe ich mich mit einem Senioren unterhalten, der noch fit  in jeder Hinsicht ist. Doch bevorzugt er Themen wie Krieg, den Tod, seine Schwächen und Wehwehchen. Gestern hatte ich genug davon und verbot ihm für den heutigen Montag jegliche negative Einstellung und Äußerung. Er zweifelte an dem Erfolg meines Plans. Wie hätte es auch anders sein können? Heute kam er zu mir, nach Sportprogramm und Therapiegespräch, und bedankte sich bei mir. Der Tag begann für ihn viel heller, schöner und entspannter. „Gut, dass du da bist.“, sagte er. Ich konnte nur lächeln.

Der Vormittag verging, der Montagsausflug stand auf dem Plan. Ein Ausflug mit der Pokerrunde von vergangenem Freitag. „Hi gorgeous!“ hieß es einerseits. „Hi my love!“ hörte ich hinter mir. Und sie meinten wirklich mich. Es war einfach niedlich.

Als ‚Ehrengast‘ der heutigen Tour brachte mich meine kleine Gang zu den Twin Peaks (dt.: Zwillingsgipfeln), nach dem Mount Davidson die zwei höchsten natürlichen Erhebungen San Franciscos. Die Aussicht war unbeschreiblich. Die City, die Golden Gate und Bay Bridge sowie die komplette East Bay Region auf einen Blick. Die Sonne spiegelte sich im Wasser und Segelschiffe ließen sich vom starken Seewind treiben. Ich hätte noch Stunden dort oben stehen können.

„Hi gorgeous, ich mag deine großen blauen Augen, wenn du in die Ferne schaust.“ Hi Gang, danke für diesen wunderschönen Nachmittag.Panoramaversuch

 

Sightseeing

Wenn viel Zeit zu bewältigen ist, ich nichts zu tun habe oder die Faulheit siegt, so schweift man oft mit den Gedanken ab und grübelt, überlegt oder erinnert sich an zu Hause, an Familie und an Freunde. Womit bewiesen ist, dass das Leben in über 10.000 Kilometer weiter Entfernung wirklich schön und wirklich schwierig sein kann.

Schauen wir auf die vergangenen Tage. Erlebt habe ich viel, Stück für Stück setzt sich das Puzzle San Franciscos zusammen. Mein erster Besuch in einer amerikanischen Bar war, nun ja, laut. Während zu Beginn eine Band weniger die Musik sondern eher das Brüllen ins Mikrofon als Hauptaufgabe ansah, war die darauffolgende Truppe durchaus angenehm anzuhören. Zum Schluss bekam ich eine CD geschenkt mit der Aufgabe, die Musik nach Deutschland zu tragen und so die Band in meiner Heimat berühmt zu machen. Ich präsentiere meinen Freunden in Deutschland also: „Ian Franklin and Infinite Frequency“.

Von A bis Z peu à peu voran

Endlich war Donnerstag. Endlich fand ein Meeting statt, das Klarheit in die doch recht unsichere Lage bringen sollte. Fragen nach Wohnort, Arbeitsbereich und Vertragsinhalten kamen hier unter anderem  zur Sprache. So wurde von unserer pädagogischen Betreuung und Kontaktperson für alle Fälle noch einmal stark betont, dass unser Freiwilligendienst nicht auf sozialen sondern auf kulturellen Pfeilern aufgebaut werden sollte. Das heißt also weder Pflege der Senioren noch Aushilfe für Küchen- und Pflegepersonal. Damit fiel mir der erste Stein vom Herzen. Ganz langsam kommen wir also in die richtige Richtung.

Was unsere Wohnsituation betrifft, so freue ich mich, dass meine Bitte auf ein eigenes Zimmer ein offenes Ohr fand und akzeptiert wurde. Die Entscheidung zwischen einer eigenen Wohnung zu zweit, jedoch mit gemeinsamen Schlafzimmer, oder einer Wohngemeinschaft mit fremden Studenten, aber dafür mit den eigenen vier Wänden, fiel mir überhaupt nicht schwer. Wo kann man wohl besser Kontakte knüpfen und sich sein eigenes Leben aufbauen als in einer kleinen amerikanischen WG? Ob nun in San Francisco direkt oder an den angrenzenden Städten wie Berkeley oder Oakland ist mir nicht wichtig. Aber um ehrlich zu sein, wäre East Bay gar nicht so schlecht. Hauptsache erst einmal raus aus dem AgeSong Gebäude selbst. Denn das wird ganz langsam unertragbar.

Die Frage nach dem Arbeiten am Wochenende und dafür Freizeit in der Woche selbst, fand bei mir wenig Anklang. Ich wünsche mir einen geregelten Tagesablauf, der mit Veranstaltungen und Events vereinbar ist. Der mir ermöglicht, etwas mit anderen Leuten zu unternehmen und wo Langeweile im Arbeitsleben keinen Platz hat. Was nützen da Wochenenden ohne Programm für die Senioren? Auch hier möchte ich noch einmal das kulturelle Arbeitsfeld betonen – keine Pflege.

Arbeitszeiten, Rahmenbedingungen des IJFDs, und allgemeine Vertragsinhalte waren den Führungspositionen natürlich noch weitgehend unbekannt. Warum? Nun ja, ich hatte zwar meinen Vertrag – von mir und der LKJ unterschrieben – in der Tasche, doch was sollte eine amerikanische Organisation mit einem deutschen Vertrag? Leider ließ die Übersetzung noch immer auf sich warten. Wir haben inzwischen versucht, grob einen Überblick über unseren Freiwilligendient zu geben und antworten auf einfachste Fragen natürlich gerne. Und trotzdem ist dies ein ziemlich wichtiges Puzzleteil, dessen Fehlen unseren Aufenthalt hier nicht unbedingt erleichtert.

Postkartenansicht vom Feinsten

Nachdem ich lange gezögert hatte und geizig auf jeden Dollar schaute, entschloss ich mich doch zu einer Stadtrundfahrt. Mit dem Hop on Hop off Ticket war es möglich ein- und auszusteigen, wann immer ich wollte. Es hing nur von den aufgezeigten Haltestellen ab. Ich beschloss jedoch, die Fahrt komplett zu genießen und erst am Fishermen’s Wharf den Bus zu verlassen.

Die Tour begann für meine Mitfreiwillige und mich ganz in der Nähe unserer Unterkunft. Ich war begeistert von unserer Tourleiterin, die mit viel Witz und Humor jeden Ort zu etwas Bemerkenswertem undP1000165_2 Interessantem machte. Vom wärmsten und sonnigsten Teil der Stadt ging es in San Franciscos berühmtes Hippie-Viertel. Viele Musiker fanden hier ein zu Hause oder brachten über diesen Ort ihre Musik an die Westküste der USA. Wer San Francisco einmal besuchen wird, kann die Hippie-Gegend kaum verfehlen. So bunt, kreativ und originell ist es nirgends.

Der Wind wehte nur so durch die Haare und gab auch der stärksten Frisur keine Chance. Haargummi? Wozu? Ich genoss dieses kleine Stückchen Freiheit.
Über den Golden Gate Park kann ich bis jetzt noch nicht all zu viel sagen. Nur eines dazu: ob der Park selbst mit all seiner Flora und Fauna, oder aber die California Academy  of Sciences, der Japanese Tea Garden und das Conservatory of Flowers  -  der Golden Gate Park wird wohl einige meiner Wochenenden zu einem einzigartigen Erlebnis machen.

Endlich wurde es stürmisch an Deck des Tour-Busses. Endlich wurde es kalt und die Straßenführung deutlich und klar. Links und rechts von uns waren mehr und mehr Sightseeing-Busse erkennbar. Ich machte meine Kamera startklar und blickte gespannt nach vorn.

P1000195_2 Da stand sie im schönsten Sonnenschein, gigantisch und eindrucksvoll wie erwartet. Die Golden Gate Bridge gilt als Wahrzeichen der Stadt und mit einer Stützweite von 1280 Metern zu einer der längsten Hängebrücken der Welt. Von nun an hieß es nur noch drauf halten und knipsen bis der Speicher voll ist. Ich wollte alles festhalten und mitnehmen. Nur eines nicht. Dieser unglaublich starke mir ins Gesicht blasende Wind war nur schwer transportierbar.

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Die Skyline von San Francisco und die Sicht auf den Ozean und die East Bay Area war wunderschön. Segelschiffe wohin das Auge reicht und Alcatraz in schönster Pracht. Allein für diese zehn Minuten hatte sich die Investition in eine Sightseeing-Tour wirklich gelohnt.

P1000236_2Wir kreuzten Japantown und Chinatown, bewunderten das Viertel der Reichen und Schönen und beendeten unsere Reise letztendlich am Pier 39. Ein kleiner Imbiss, ein Blick auf die See und die Bay Area genügte bis wir unseren Heimweg leicht verfroren antraten. San Francisco ist durch die Seeluft wirklich eine recht kühle Stadt.

Und manchmal einfach nichts

Aber wie komme ich nun auf Faulheit und Gedankenkreisen? Nicht jeder Tag ist von Aufregung und Tatendrang geprägt. Manchmal reicht auch einfach ein schönes Sofa, ein Bildschirm und eine Tastatur. Skypen, E-Mails schreiben und Filme gucken, das Alleinsein und auch das ein oder andere tiefe Luftholen befreiend genießen. Ich habe nie gesagt, dass alles ganz einfach ist. Und die kleine Sehnsucht nach zu Hause tat heute gut, denn jetzt freue ich mich auf morgen, eine zweite Arbeitswoche und viele neue Erlebnisse.

Step by Step

Fünf Tage sind bereits vergangen und endlich haben sich Kreislauf und Kopf an die Zeitumstellung gewöhnt. Zwölf Uhr nachts ist nun nicht mehr Frühstückszeit und zum Mittagessen sehne ich mich nicht mehr nach Sandmännchen und Bettzipfel. Ein großer Schritt ist damit getan.

Ich gebe zu, heute Morgen nicht allzu elanvoll gewesen zu sein. Bei unserem 45 Minuten Meeting konnte ich am Ende kaum noch sitzen. Als wir erneut zum Aktenordnen verdonnert wurden, verflog auch der letzte Hauch an Schaffenslust. Das war doch nicht sein Ernst? Immerhin bekamen wir den ganzen Tag dafür Zeit. Jetzt stand erste einmal Thai Chi auf meinem Plan.

Kennen wir uns?

Thai Chi mit Senioren konnte ich mir anfangs kaum vorstellen. Nur wenige Bewohner sind nicht bewegungseingeschränkt und längeres Stehen mutet man hier niemandem mehr zu. Die Umsetzung sah wie folgt aus: sechs bewegungsfreudige Menschen bilden einen Halbkreis mit Blick auf den Fernseher. Ein netter grauhaariger Mann mit Vollbart erscheint auf dem Bildschirm. Er wollte das heute „Training“ leiten. Eine halbe Stunde lang wurden von der Hüfte an aufwärts alle Muskeln durch schwimmen, Arm kreisen, wedeln, pushen aber auch tiefes und ruhiges Atmen beansprucht. Ein Blick nach links und rechts ließ mich in angestrengte aber zufriedene Gesichter schauen. Für einen Moment schien alles entspannt und ausgeglichen zu sein. Im anderen Moment wusste ich, dass die Hälfte der strahlenden Menschen sich schon bald weder an diese Freude noch an Thai Chi erinnern würde. Ich werde eine Weile brauchen, um damit umgehen zu können.

Für starke Nerven und ein gutes Trommelfell

Als der Fahrstuhl die untere Etage erreichte, kam mir ein enormer Geräuschpegel entgegen. Da saß eine Dame völlig entrüstet in ihrem Rollstuhl. Mit hochrotem Kopf schimpfte, plärrte und weinte sie. Sie zu beruhigen machte keinen Sinn. Sie akzeptierte nichts mehr.

Von unserem Chef erhielt ich die Aufgabe, sie gemeinsam mit einem Fahrer zur Bank zu fahren, damit sie dort alle Fragen und Bankgeschäfte, die sie bedrückten, klären konnte. So lernte ich Eddy kennen. Es war eine laute Fahrt. Die dramatisierende alte Dame auf dem Rücksitz sorgte für ordentlich Stimmung in unserem kleinen Van. Jeder Hügel, über den wir fuhren, war zu hoch. Jedes Wort das Falsche und Schweigen interpretierte sie als unhöflich und abstoßend. Dass sie mich die ganze Zeit über beschimpfte, ignorierte ich dezent.

In der Bank angekommen trafen wir auf einen sehr ruhigen gelassenen Mitarbeiter, der unserem kleinen Problemfall alle Zeit der Welt gab, sich zu sortieren und zu orientieren. So wurden Plastiktüten, Gummibänder und stark geknickte Unterlagen quer über den Tisch verteilt. Ich wunderte mich, wie die Seniorin tatsächlich die benötigten Papiere finden konnte.

Dazu ist sie im Diskutieren ein absolutes Ass. Ständig hatte sie neue Einfälle, Ideen und Forderungen. Eine Stunde später und mit beantragtem Scheckbuch und 100 Dollar in ihrer Tasche, verließen wir die Bank.

Mit Eddy und seinem Van verbrachte ich einen angenehmen Arbeitstag. Wir brachten Senioren zum Arzt, wobei ich zum ersten Mal sah, wie medizinische Versorgung in den USA funktioniert. Er lud mich zum Mittag ein, zeigte mir nach der Arbeit, wo ich am Besten einkaufen kann und versuchte, mir möglichst preiswerte Sachen zu zeigen und zu empfehlen. Sich in diesen riesigen Läden zurecht zu finden, ist schwieriger als erwartet.

Über den heutigen Tag kann ich mich nicht beschweren. Ich habe viel erlebt, viel gelacht und wieder ein Stück mehr von San Francisco kennen lernen dürfen. So könnte es doch eigentlich weiter gehen.