breakfast table and a cup of coffee

Langsam legt sich der dicke Nebel über dem großen weiten Ozean. Die Sonne scheint mit aller Kraft und der Himmel ist klar und wolkenlos. Schiffe fahren am Horizont. Es ist Sonntag. Ein Sonntag, wie er sein sollte. Vergessen sind die kurzen, unruhigen Nächte der vergangenen Wochen. Auch wenn der Alltag für die Senioren hier gegen sechs Uhr morgens beginnt und es dementsprechend laut auf dem Flur wird, so ist es nachts still und friedlich. Inzwischen habe ich mich in meinem neuen Heim eingelebt, auch wenn es nur für einen kurzen Zeitraum sein wird.

Unser neues Appartement soll in einer kleinen Nachbarstadt liegen, in Alameda. Wenn alles klappt, ziehen wir am 11. November um. Wir werden sehen. Jetzt genieße ich erst einmal den Blick aufs Meer, am Frühstückstisch sitzend und einem frischen warmen Kaffee.

Kommen und gehen

Am Freitagmorgen wachte ich zum ersten Mal in meinem neuen Bett auf. Ich genoss ein Frühstück am Tisch mit einem richtigen Käsebrot, Tomaten und Kaffee. Auch wenn es hektisch war und wir etwas unter Zeitdruck standen – darauf wollten wir nicht verzichten. Wie erwartet kamen wir 20 Minuten zu spät zur Arbeit. Aufgefallen ist es keinem.

Stolz betrachtete ich unsere P1000915_2kreativen Werke im Keller AgeSongs. Nur wenige Pinselstriche fehlten noch. Die Hexe brühte vor sich hin, der Kürbis leuchtete im schönsten Orange und der Geist bekam große Augen und ein süßes Lächeln. Oben im Café standen Spinnennetze und Fledermäuse zum Dekorieren bereit. Alle packten mit an: ein Senior, ein Intern, Studenten der Universität und wir Freiwilligen aus Deutschland.

Die Zeit verging wie im Fluge. Meine Entspannungsgruppe stand an. Seit vier Wochen gehören dreißig Minuten mir und den Senioren ganz allein. Eine halbe Stunde abschalten, entspannen, atmen und den Alltag vergessen. Die dankbaren Augen der Senioren sind jeden Freitag erneut eine Freude.

P1000943_2Noch einmal setzten wir uns zu den Bewohnern in den Aufenthaltsraum – malten Kürbisse für unser Mobilee. So manche Dame macht sich zum ersten Mal bemerkbar. Auch wenn sie ihren Arm alleine nicht mehr heben kann, ihre Augen zu schwach sind, um Bilder und Farben zu erkennen, so wollte sie trotzdem helfen, einen Kürbis für unsere Halloween-Party zu gestalten. Ich  frage sie nach einer Farbe, nehme einen Stift und ihre Hand und führe ihre Finger über das Papier. Am Ende entsteht ein Bild, worauf sie stolz sein kann. Sie kann nicht viel sagen, zeigt jedoch, dass es ihr gefallen hat. Auf der anderen Seite des Tisches malt eine mexikanische Seniorin eifrig Kürbis für Kürbis an. Verschiedenste Gesichter entstehen. Ich bin beeindruckt.P1000934_2

Acht Stunden sind vergangen. Es ist Feierabend. Noch einmal drehe ich mich um, winke der Dame an der Rezeption zu. Wir sehen uns nächste Woche! Es ist 17 Uhr als die Tür hinter mir ins Schloss fällt und ich mich auf den Weg in mein neues Heim mache.

Why?

Die Sonne ist schon lange untergegangen. Kaum ein Mensch ist draußen auf der Straße. Es riecht nach Apfel und Zimt – Wintertee mit Grüßen aus Deutschland. Die Kerze auf dem kleinen Kaffeetisch  kämpft um das kleine Flämmchen, welches im Wachs zu ertrinken droht. Es ist 21 Uhr. Während ich in das zarte Licht schaue, versuche ich die letzten Tage noch einmal Revue passieren zu lassen.

Unverständnis

24. Oktober: Ich hatte es aufgegeben, auf ruhigere Nächte zu hoffen, fand mich mit den unglaublich vielen Kompromissen, die wir hier eingehen mussten, ab. Es war nicht schön, in einem Seniorenheim zu leben, für mich nach so langer Zeit nur noch schwer ertragbar. Aber jegliche Bitte um Veränderung der Situation blieb unerfüllt. Auch Druck half nichts. Es wurde viel Versprochen und viel geredet – alles leere Worte. Sieben Wochen liegen hinter mir und noch immer keine neue Unterkunft in Sicht. Warum nur?

Es war ein ganz gewöhnlicher Mittwoch. Müde saß ich im Meeting und versuchte, dem Gespräch zu folgen. Der Chef befand sich für eine Woche im Urlaub. Seine Meditationsgruppe sollte ausfallen, weil es keinen Ersatz für ihn gab. Ein oder zweimal habe ich selbst daran teilgenommen. So richtig meditieren konnte man das nicht nennen, aber den Senioren gefällt es. Es tat mir leid für sie, dass eine doch recht beliebte Gruppe entfallen sollte. Spontan übernahm ich den Kurs für 11 Uhr.

Es war eine gute Runde. Die Senioren waren dankbar für jedes Wort. Wer zur Meditation kommt ist recht unabhängig und mental noch gut dabei. Wir konnten diskutieren, uns richtig unterhalten. Eine Seltenheit hier. 30 Minuten vergingen wie im Flug. Anschließend: Mittagessen mit den Bewohnern außerhalb AgeSongs in einem kleinen Burger-Restaurant namens „Flippers“. Mit Rollstuhl, Gehhilfe oder selbst zu Fuß – wer kann, darf mit. Beim Essen werden Portionen geteilt. Ein komplettes Gericht wäre zu viel für die Senioren. So mancher Diabetiker darf ausnahmsweise essen, was ihm Spaß macht. So manche Dame blüht auf und plaudert, wie nie zuvor. Es ist gewöhnungsbedürftig, aber auf keinen Fall unangenehm.

P1000905_2Wer könnte man nach einem doch bisher recht schönen Tag an etwas Negatives denken? Ich hatte heute Spaß bei der Arbeit. Im Keller kreieren wir die Dekoration für eineP1000913_2 kleine Halloween-Party. Ein kleines Geisterschloss für Minigolf, eine Hexe, die im Kessel kocht. Ein Geist mit leuchtend blauen Augen, eine Spinne und ein Kürbis-Mobilee trocknen unter dem Klavier. Alles wartete auf seine Vollendung. Am Freitag sollte es fertig sein. Nach einer kleinen Mittagspause wollten wir in den Endspurt gehen. Doch daraus wurde nichts.

Ohne Worte

Wir hatten das Gebäude AgeSongs noch nicht betreten, schon spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Einige Interns sahen uns nur an oder machten einen Bogen um uns. Unser Supervisor – zu gut deutsch Leiterin – trat zwischen uns und wollte mit uns reden. Sie brauchen unser Zimmer für eine neue Mitbewohnerin. Ganz plötzlich und unerwartet, wie aus heiterem Himmel. Ich verstand nicht ganz, was sie meinte. Wir hatten keine andere Unterkunft. Ständig wurde uns erklärt, dass es kein anderes Zimmer für uns zum Wohnen gab. Und plötzlich sollten wir aus unseren acht Quadratmetern ausziehen?

Ein weiterer Intern kam auf uns zu. Sie sei für uns Freiwillige aus Deutschland zuständig. „Hi Leute“, sagte sie, „ich habe schlechte Neuigkeiten. Naja, eigentlich sind sie nicht so schlecht, aber ja. Wir brauchen euer Zimmer und müssen euch somit umquartieren.“  Verzeihung. Wie bitte? „Wir haben zwei Möglichkeiten für euch: entweder das Zweitbettzimmer gegenüber von euch oder eins im anderen Gebäude. Da könnte es jedoch sein, dass ihr jeden Tag erneut umziehen müsstet, weil wir die Zimmer dort brauchen.“ Ich starrte sie an. Hatte ich das grade richtig verstanden? Sieben Wochen lang hatte es keine Möglichkeit gegeben, uns ein anderes etwas größeres Zimmer zu geben und plötzlich das? Erst vergangenen Freitag hatten wir das Thema diskutiert und da war ein Zimmerwechsel sofort abgelehnt worden.

Wir hatten jetzt die Wahl zwischen einem Zimmer, wo wir zwei Menschen haben sterben sehen müssen, oder einem Raum, wo wir morgen womöglich gleich wieder rausgeschmissen werden. Das konnte nicht ihr ernst sein. Hatten wir nicht die letzten sieben Wochen genug mitmachen müssen? Mir standen die Tränen in den Augen, gleichzeitig kroch die Wut in mir hoch. Ich konnte nicht mehr. Ich war mehr als an meinen Grenzen angekommen. Meiner Mirfeiwilligen ging es ähnlich. „Wann?“, fragte ich leise. Ich sah ihr direkt in die Augen. „Wann müssen wir unsere Sachen packen?“ „Am besten gleich, so früh wie möglich.“ Ich holte tief Luft. Das war ein Albtraum. „Hi Leute, ich weiß, dass ist nicht so, wie wir gedacht haben. Aber wir arbeiten weiter an eurem Appartement. Echt. Aber jetzt muss es erst mal so sein. Wir brauchen den Raum für eine neue Seniorin. Da müsst ihr leider Platz machen. Aber so schlimm ist das ja nicht. Macht einen Spaziergang und packt dann eure Sachen, ja?“

Mehr hörte ich nicht. Ich ließ sie in der Lobby stehen und stürmte nach draußen. Umziehen? Gleich? Sie suchen ein Appartement? Ich hatte diese leeren Worte satt. Seit sieben Wochen wird viel geredet, nichts getan. Wir sind geduldig, machen alles mit, und nun das? Ich sah durch die Glastür. Zwischen Interns, die auf sie einredeten, und quatschenden Senioren stand meine Partnerin genauso fertig wie ich. Ich ging hinein in Richtung Zimmer. Dort standen Hausmeister und Techniker, Supervisor und andere Mitarbeiter der AgeSong Leitung. Auf meinem Bett und Koffer Schraubenzieher, Verpackungen und Kabel. Mein Kuscheltier lag auf dem Boden zwischen Schuhen und Staub. Ich nahm meine Partnerin bei der Hand und zwängte mich ins Zimmer. Ohne auf die anderen zu hören packte ich alles zusammen, was mir lieb und teuer war. Ich wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Mir fehlte jegliches Verständnis für diese Situation. Ich schnappte mir meinen Laptop suchte mir eine ruhige Ecke, um nach Deutschland zu telefonieren. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. In diesem Moment wollte ich nur noch nach Hause.

Und trotzdem geht es weiter

Ich brauchte eine Weile, ehe ich mich beruhigt hatte. Ohne eine Miene zu verziehen gingen wir zurück. Inzwischen waren Haustechnik und -leitung wieder verschwunden. Wir packten unsere Sachen. All‘ zu schwer war das nicht. Nur wenig war ausgepackt. Die letzten Wochen hatten wir schließlich aus unseren Koffern gelebt. Wir wussten nicht genau, wohin, waren uns jedoch sicher, dass wir lieber jeden Tag umziehen wollten als in einem Zimmer zu leben, wo wir so viel Leid gesehen hatten. Wir brachten unser Gepäck auf die andere Straßenseite. Erneut versuchte jeder auf uns einzureden. Im Fahrstuhl wollte man uns weis machen, dass dies eine einzigartige Erfahrung sei. Ohne Verschönerung, sachlich und klar erklärte ich noch einmal, wie wir uns fühlten, welche Probleme wir haben und wie schwierig uns das Leben hier fällt. Aber auch das hatte ich schon öfter getan und trotzdem gab es bisher keine Veränderungen.

Wir betraten unser neues Zimmer. Es war größer, zwei Betten, ein Schrank. Die Mitarbeiter der Etage sahen uns voller Mitleid an. Sie boten uns jeder Zeit ihre Unterstützung an. Das war lieb gemeint, aber momentan wollte ich nichts mehr sagen, nichts mehr hören. Noch immer kämpfte ich mit den Tränen, dachte an zu Hause, Familie und Freunde. Was nun?

Wir fuhren mit dem Fahrstuhl nach unten. In Gedanken versunken stieß ich fast mit der Köchin zusammen.  Sie sagte etwas über eine Idee, einen Plan, ein Zimmer in einem anderen Appartement. Ich konnte ihr nicht ganz folgen. Sie nahm uns mit nach draußen auf die Straße, rief unserem Supervisor zu, dass wir losfahren könnten. Es hatte sich ein Zimmer in einem Appartement gefunden, wo wir bis zum Umzug in unsere eigenen vier Wände leben könnten. Hinterm Golden Gate Park, in der Nähe vom ‚Ocean Beach‘.

Ein Lichtblick

Zu viert fuhren wir in einem Caprio gen Westen. Die Sonne strahlte, der kalte Wind blies mir durch die Haare. 25 Minuten später erreichten wir das weiße Zweifamilienhaus. Ich wusste inzwischen, dass der Eigentümer des Hauses den Gründer AgeSongs kannte. Das Appartement war zum Seniorenheim umgebaut wurden. Unten leben Senioren, oben wohnt der Hausherr selbst. Wir wurden freundlich begrüßt. Recht unsicher betrat ich das Haus. So richtig sortiert hatte ich die letzten zwei Stunden in meinem Kopf noch nicht. Wir wurden durch einen langen Flur in ein großes geräumiges Zimmer geführt. Dort stand ein Bett, ein großer weißer Einbauschrank, zwei Nachtschränkchen, ein kleinerer Schrank und ein gro.ßer Spiegel. Diesen Raum stellte uns der Eigentümer für die nächsten Tage zur Verfügung. Er führte uns weiter herum in eine kleine Küche mit Kühlschrank, Reiskocher und Mikrowelle. Er bot uns an, seine eigene Küche zu benutzen mit Herd und Ofen, Töpfen und Pfannen. Zum  Kochen, wann immer wir möchten.

So vieles wäre hier einfacher, entspannter. Endlich könnte ich Arbeit und Privatleben trennen. Meine ‚Kollegen‘ würden mich nicht mehr verschlafen im Pyjama sehen. Ich könnte mir mein eigenes Essen zubereiten, Nahrungsmittel lagern und ruhig schlafen. Ausruhen und entspannen am Wochenende und nach der Arbeit. Er führte uns hinaus auf die Terrasse. Die Aussicht war unglaublich. Blick auf das blaue Meer. Hohe Wellen brachen am Strand, Möwen flogen in der Luft und die Sonne spiegelte sich auf dem Wasser des Pazifiks. Ein Gefühl der Erleichterung. Es ist eine Veränderung, wenn auch nicht optimal. Nur eine Nacht noch bei AgeSong. Ein paar Kleinigkeiten müssen erst geregelt werden. Aber der Umzug steht bevor. Donnerstag 10.30 Uhr. Ein Lichtblick.

last summerdays

Der Oktober neigt sich dem Ende entgegen. Sechs Wochen lebe und arbeite ich bereits in San Francisco. Die anfänglichen Startschwierigkeiten ziehen sich bis heute. Noch immer ist mein Vertrag nicht unterschrieben und die Wohnsituation unsicher und unverändert. Wir kämpfen jeden Tag erneut, versuchen, uns gegenseitig hoch zu ziehen und gemeinsam die Tage etwas schöner zu gestalten. Doch es ist und bleibt hart, bei max. acht Quadratmetern zu zweit in einem Seniorenheim zu wohnen.

Die Zeit vergeht. Es wird Herbst in San Francisco. Immer mehr Regentage verdrängen Sonnenschein und Wärme. Ich vermisse das Laub und die Kastanien in Deutschland, freue mich jedoch hier über die vergangenen Sommertage bei fast 30°C.

Santa Cruz

Um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen, fuhren wir trotz Müdigkeit über ein paar Umwege in das zwei Stunden entfernte Santa Cruz. Warum Umwege? Wir machten einen Zwischenstopp in San José und trafen dort ein paar junge Lehrer einer baptistischen Schule, die uns zu diesem Trip eingeladen hatten. Allein für die Hinfahrt von San Francisco nach Santa Cruz brauchten wir beinah vier Stunden. Unsere Gruppe war gut drauf.P1000880_2

Die Landschaft war wunderschön. Ich habe es genossen, einmal außerhalb der Bay Area die Gegend zu erkunden. Wir fuhren den Highway entlang, an Kleinstädten vorbei über Berge und durch Wälder. Nach sechs Wochen in San Francisco eine wunderbare grüne Abwechslung.

Santa Cruz liegt direkt am Pazifik. Wir parkten unseren Minibus an einem bunten Freizeitpark mit Blick aufs Meer. Menschen und Massen. Alles war bunt. An jeder Ecke roch es nach Eierkuchen oder Zuckerwatte. Kitsch vom Feinsten. Der kleine Freizeitpark zog sich den Strand entlang. Es gab nur einen Weg, welcher uns zu allen Attraktionen führen konnte.P1000865_3

Aber wir zogen der P1000870_2Achterbahn und dem „Freien Fall“ einen Strandspaziergang und  die Seehunde vor. Es war einfach schön. Segelboote und Fähren am Horizont. Ein paar Meter weiter fand ein Bandwettbewerb verschiedenster High Schools statt. Trommel und Blasmusik – schnell und langsam, laut und leise. Ich hätte nie gedacht, dass dies „bloß“ Schüler waren.

Wir verbrachten unsere Zeit mit Spaziergängen, quatschen und genossen einfach Sommer, Sonne und Strand. Es war lustig und tat gut, mit Leuten gleichen  Alters unterwegs zu sein. Auch wenn die  Rückfahrt lang war und wir doch recht spät bei Agesong ankamen, so bin ich nach solchen Ausflügen immer etwas zufriedener als vorher. Eben glücklich.P1000856_2

Take it easy!

Es poltert und rumpelt, quietscht und knarrt. Reges Treiben herrscht auf den Fluren so kurz vor dem Wochenende. Meine Gruppe für autogenes Training war erfolgreich. Das Feedback zufriedenstellend, die Senioren völlig entspannt von ihrer kleinen Traumreise zurückgekehrt. Erleichtert schaue ich auf die Uhr. Noch 90 Minuten. Fast ein ganzer Monat ist nun schon vergangen. Dort leben und arbeiten, wo andere Urlaub machen. Ein Traum?

Da waren ungeregelte Arbeitsbedingungen, die ungeklärte Wohnsituation, das winzige Zimmer und zu wenig Ruhe. Nachdem wir am vergangenen Wochenende enttäuscht von Wohnungsbesichtigungen in Oakland zurückgekehrt waren, schienen Motivation und Enthusiasmus am ihrem Tiefpunkt angelangt zu sein. Die Wohnungen waren unsauber, kalt, von großen Hunden bewohnt oder zu teuer. Eines hatten sie jedoch alle gemeinsam: die unsichere und recht kriminelle Umgebung. Mit dem uns zur Verfügung gestellten finanziellen Budget war etwas anderes nicht möglich. Dass wir uns weigerten, dahin zu ziehen, lag auf der Hand.

Sommer, Sonne, Strand

Die vergangenen Tage waren heiß. Der „Indische Sommer“ zeigte sich mit aller Kraft von seiner besten Seite. Solche hohen Temperaturen bei nahezu Windstille in San Francisco erleben zu dürfen, ist äußerst selten. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Senioren ging es diese Woche samt Vanilleeis und Soda an den Strand. Eine Spezialität des Landes, so heißt es. Nun ja, das Vanilleeis allein tut es meiner Ansicht nach auch. Kaum in der ‚Crissy Field Picnic Area‘  angekommen, stand ich auch schon mit beiden Füßen im San Pablo Bay. Das Wasser war eisig, der leichte Wind angenehm warm. Sanft brachen die kleinen Wellen an den Felsen und Kinder quietschten vergnügt im Sand. Für einen kurzen Augenblick war alles vergessen. Lächelnd träufelte ich etwas Wasser auf meine Zunge um ganz sicher zu sein, dass es salzig ist. Unter der pompösen und stolzen Golden Gate Bridge ließen sich unzählige Segelboote treiben. Alcatraz lag in P1000517_2schönstem Sonnenschein mitten im San Pablo Bay. Das war San Francisco, wie ich es mir erhofft hatte. Einfach unbeschreiblich. Kein Foto und kein Video der Welt können einen solchen Moment festhalten. So etwas muss man selbst erlebt haben.P1000540_2

In Gedanken versunken lief ich am Strand entlang. Nach einer Weile traf ich einen unserer Bewohner und er beschloss, mir auf meinem Weg zum Fischersteg Gesellschaft zu leisten. Möwen begleiteten uns, die sich von dem recht starken Gegenwind treiben ließen. Das ein oder andere hübsche Bild entstand, während der Herr an meiner Seite zitternd mit seinen unendlich langen Fingernägeln meine Kamera hielt.

Auf dem holprigen Steg angekommen, war ich ganz fasziniert von einem großen Vogel, der weder Storch noch Pelikan war. Es störte ihn ganz und gar nicht, dass Touristen Fotos von ihm machten oder eine Möwe ihm nicht mehr von der Seite wich. Ein Stück weiter sah ich ganz neidisch einer Gruppe von Anglern zu und fand in einem kleinen Small-Talk heraus, dass ich nicht einmal eine Lizenz zum Fischen auf diesem Steg brauche. Also: Wer hat eine Angel und einen Kescher für mich? Und vor allem: Wer will meine potenziellen Fische haben? Von weitem beobachtete ein Seelöwe das Geschehen und genoss den Kontrast zwischen der heißen Sonne und dem kühlen Nass. Schade, dass auch die schönste Zeit irgendwann zu Ende ist.

P1000528_2Von Pfirsichen und Kokosnüssen

Was nützt es, immer wieder neu über das zu klagen, was nicht da ist, nicht stimmt oder nicht funktioniert? Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied, also Augen zu und durch. Mit etwas Geduld und Fingerspitzengefühl entstand nun der dritte Stundenplan. Mit offenen Augen und viel Verständnis saß uns Activity Director Sushi gegenüber. Sie hörte zu, unterbrach uns nicht. Eigene Ideen waren willkommen, auf Bitten seitens AgeSongs wurde über Kompromisse eingegangen. Ich freue mich auf das Plätzchenbacken zu Weihnachten, den monatlich stattfindenden Austausch zwischen amerikanischer und deutscher Kultur, einen kleinen Chor und meiner eigenen Gruppe für autogenes Training.

Das achtstündige „Organisationstraining“ für alle neuen Mitarbeiter am Donnerstag war nicht ohne. Weniger anspruchsvoll jedoch anstrengend. So viel ‚Peace, Love and Happiness‘ war einfach zu viel. Ich wusste, dass die Menschen hier viel auf Liebe und Frieden geben. Dies auch immer und zu jeder Zeit zum Ausdruck bringen wollen – es leben die Hippies von San Francisco – doch mir war das einfach zu viel des Guten. Waren somit Klischees über die deutsch Kühle und die amerikanische Offenheit bestätigt?

Die Menschen hier sind anders. Offen, freundlich, locker und herzlich. Der Eine mag es, dem Anderen ist das zu viel. Ich bevorzuge etwas mehr Abstand. Und auch unser kleiner Fahrer bei AgeSong wird lernen müssen, dass ständige Umarmungen, Fragen nach dem Gemütszustand meiner Eltern und das Abnehmen der auch noch so kleinsten Arbeit bei mir nicht unbedingt auf Gegenliebe stoßen. Aber er hat es nun besonders schwer mit mir: als Amerikaner mit südamerikanischem Blut und auf andere Männer stehend ist er jeden Tag so voller Frieden und Liebe, dass mein gestriges Ausweichen vor der fünften Umarmung des Tages ihn sehr mitgenommen hat. Ich bin gespannt, wann er sich von seinem Schrecken erholen wird und wieder mit mir reden möchte.

Zwei Straßen weiter und dann rechts

Es ist Freitag. Noch einmal umdrehen, die Zeit ignorieren. Warum musste es nachts hier immer  so furchtbar unruhig sein? Wieso mussten zwischen 12 und zwei in der Frühe Stühle lautstark verschoben werden und Telefonate und Zigarettenpausen genau vor unserem Fenster stattfinden? Das Fenster zu schließen ist schwierig. Dann wird es zu warm. Ist es geöffnet, erstickten wir im Qualm.

Leicht demotiviert saß ich gemeinsam mit meiner Mitfreiwilligen im morgendlichen Meeting. Nichts Neues, alles wie immer. Da wird über Zimmerwechsel, Hausbesichtigungen und Neuankömmlinge gesprochen. Wer braucht viel Aufmerksamkeit, wer einen Spaziergang und wie können kranke Patienten isoliert werden ohne ihnen ein Gefühl des Abschiebens zu vermitteln? 45 Minuten zogen sich sehr in die Länge. Bereits zuvor hatte ich erfahren, dass ich meine erste Gruppe für autogenes Training schon am frühen Nachmittag durchführen sollte. Das hieß für mich, in kürzester Zeit Musik raus zu suchen und den Text zum Vorlesen zu übersetzen. In Gedanken versunken hörte ich nur indirekt bei Gesprächen zu und antwortete nur knapp auf mir gestellte Fragen. Ja, es ging mir wie immer gut, ich bin wie jeden Morgen müde und schön, dass ein Appartement für uns gefunden worden war. Halt. Für uns wurde ein Appartement gefunden? Ich sah in ein breites Grinsen. Wann hatte er diese Nachricht erhalten? Erst gestern? Wusste er mehr als ich und vor allem: wo hatte er diese Information her?

Es dauerte keine fünf Minuten, da wusste auch ich aus erster Hand Bescheid. Sie hatten ein Appartement gefunden, unweit entfernt für drei Personen. Die Bilder waren viel versprechend. Waschmaschine und Trockner inklusive. Am Montag schauen wir es uns an. Wir halten die Daumen gedrückt für unser neues Heim zwei Straßen weiter und dann zwei Blöcke nach rechts.

Softly, softly catchee monkey!

Die dritte Arbeitswoche neigt sich dem Ende entgegen. Während die letzten Sonnenstrahlen auf die Erde fallen und der Wind durch Äste und Blätter streift, blicke ich zurück auf die vergangenen Tage. Es war nicht einfach. Hier und da gab es Unklarheiten und Sehnsucht nach der Heimat. Warum wusste keiner über uns, unser Kommen und unser Projekt Bescheid? Inwiefern lag es nun an uns, Kompromissbereitschaft zu zeigen? Wie viel Zugeständnisse müssen wir noch machen, auch wenn wir uns damit nur noch schwer abfinden können?

Aufpassen, reden, unterhalten und da sein. Ich bewundere jene Menschen, die Pflege und Fürsorge älterer Menschen zu ihrem Beruf gemacht haben. Viele der psychisch oder physisch eingeschränkten Senioren hier sind unglaublich liebenswürdig und warm. Jeder ist auf seine Art besonders und einzigartig. Und trotzdem ist es hart, ihnen jeden Tag in die Augen zu schauen und erneut freundlich und offen ihre Fragen zu beantworten: „Wer bist du? Was machst du hier?“ Und manchmal auch: „Wo bin ich hier? Wann gehen wir nach Hause? Wann kommt meine Familie?“ Die wahre Antwort wäre dann wohl: nie.

Die US-Amerikaner sind grade hier in Kalifornien sehr kommunikativ und hilfsbereit. Ob man einem Menschen einmal, zweimal, fünf- oder zehnmal am Tag begegnet, ist unwichtig. Auf die Frage, wie es einem geht und wie es so läuft, sollte man immer gefasst sein. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wirklich jedes Mal eine Antwort erwartet wird. Inzwischen reicht auch ein Nicken oder Lächeln.

Die Straßen von San Francisco

Auch wenn ich sortiert und sorgfältig mit T-Shirts, Hosen, Pullover und Röcken umgegangen bin, so kam auch ich nach knapp drei Wochen nicht mehr ohne Waschmaschine aus. Ich gebe zu, dass ich den öffentlichen Waschsalons durchaus skeptisch gegenüber stand und bis zum Schluss gehofft habe, rechtzeitig in ein eigenes Appartement umziehen zu können. Bei meinen nächtlichen Small-Talks mit dem Pflegepersonal hier habe ich herausgefunden, dass auch in Amerika viele Appartements neuerdings eigene Waschmaschinen im Haus haben. Nun blieb mir jedoch der Besuch im Waschsalon nicht mehr erspart. Mit mulmigem Gefühl kaufte ich Waschmittel und Weichspüler und ging die Straße hinauf.

Ein Mann kam herunter gehetzt. Gefolgt von zwei Weiteren in blauer Jeans und schwarzer Weste. Ein weißes Auto wurde mit einer Vollbremsung zum Stillstand gebracht und versperrte weiteren Fahrzeugen den Weg. Das laute Heulen der Polizeisirenen  kam immer näher. Irgendetwas stimmte hier nicht. Dann ging alles ganz schnell. Zwei weitere Männer rannten über die Kreuzung, gefolgt von Polizeiauto und Streife in Zivil. Der Polizeiwagen bremste. Sackgasse. Raus aus dem Wagen. Im Sprint hinter den Flüchtlingen hinterher. Einer von ihnen Stolperte und fiel zu Boden. Mit aller Kraft drückte ihn ein Beamter fest auf den Asphalt und legte ihm die Handschellen an. In 30 Zentimeter Luftlinie gingen wir an ihnen vorbei. Was war hier los?

Am Ende des Blocks rauchte und qualmte es. Eine Menschenmenge hatte sich am Spielplatz versammelt. Drei zusammengestoßene jedoch parkende Autos standen am Straßenrand. Ein weiteres war vollkommen zerstört. Die Beifahrerseite komplett eingedrückt stand es mitten auf dem Bürgersteig. Es war schwer zu erkennen, wie viele Personen sich im Unfallwagen befanden. Ein Feuerwehrmann setzte sich auf den Rücksitz, um den Fahrer zu beruhigen. Drei weitere versuchten den schwerverletzten Mann aus dem Wagen zu bergen. Hier stellten wir uns erstmalig die Frage, ob Feuerwehr und Rettungssanitäter wohl ein und die Selbe Aufgabe haben, denn nirgendwo war ein Rettungswagen zu sehen. Nur zwei Feuerwehrautos in Form unserer deutschen Rettungsfahrzeuge und ein großes Feuerwehrauto samt Leiter und allem drum und dran waren hier im Einsatz.

Es dauerte eine Weile bis der Fahrer aus dem Auto heraus gesägt worden war und ins Krankenhaus gebracht werden konnte. Er schien allein im dem Wagen gewesen zu sein. Wir jedoch ließen die schaulustige Menge bald hinter uns und betraten den Waschsalon. Auch hier machte sich die Hilfsbereitschaft der Amerikaner bemerkbar. Bald hatte ich den Dreh raus und kam 90 Minuten später mit trockener und duftender Wäsche zurück. Es funktioniert also tatsächlich.

Geduld heißt das Zauberwort

Es ist nicht selten, dass unsere Nächte doch recht unruhig und kurz verlaufen. Viele Senioren stöhnen im Schlaf, rufen nach Hilfe oder hauen mit den Fäusten gegen die Wand. Pfleger und Schwestern kommunizieren lautstark über den Flur hinweg und Alarme und Signale ertönen durchs Haus. Nach drei Wochen zerrten dieser Stress und diese Unruhe doch an Kraft und Nerven. Auch wenn in den kommenden Wochen viele neue Mitarbeiter und Senioren aufgrund der Umstrukturierungen innerhalb AgeSong’s kommen werden und dies hier Priorität haben wird, geben wir nicht auf für unsere Privatsphäre und Unterkunft außerhalb der Community zu kämpfen.

Ehrlich und bestimmt treten wir den Internen hier gegenüber. Wie es uns geht? Nun ja, wir arrangieren uns mit der Situation. Diese Woche haben wir die Initiative ergriffen und unsere Ansprechpartnerin auf Wohn- und Arbeitssituation angesprochen. Mit klaren Sätzen machten wir ihr klar, dass wir gerne helfen, mit den Bewohnern sprechen und bei ihnen sind. Doch nicht acht Stunden täglich. Noch einmal erklärten wir ihr Projekt- und Stellenbeschreibung, auf die wir uns beworben hatten. Noch einmal baten wir um einen Kompromiss, der unsere Vorstellungen und die Bitte der Community, die Pfleger zu unterstützen, vereint. Auch wenn es wieder locker abgetan wurde und wir mehrmals unser Anliegen wiederholen mussten, so kamen wir endlich ein kleines Stück voran. Wir entwickeln nun gemeinsam mit Activity Director Sushi unseren eigenen Stundenplan. Kunst und Kultur werden Hauptbestandteil sein, an Pflege und Fürsorge wird auch gedacht. Wir wollen nicht nur fordern müssen, wir wollen auch geben.

Ich bin froh, endlich sehen zu können, dass sich aktiv jemand der Suche eines Appartements für uns gewidmet hat. Vielleicht sind wir zu dritt, vielleicht zu zweit. Ob die wunderschöne East-Bay-Seite oder San Francisco City… Wer weiß? Das Jahr soll sowohl für AgeSong als auch für uns erfolgreich, weiterführend und Freude bereitend sein. Mit viel Geduld und Spucke fängt man eine Mücke. Und ich glaube, wir sind langsam aber sicher auf dem richtigen Weg dahin.

“Assertive!”

Ein Blick auf den Kalender verrät, dass nun bereits zwei Wochen vergangen sind. Noch immer ist unsere Wohnsituation ungeklärt. Sie suchen noch. Nun doch nach einem Appartement. Wir hoffen noch immer inständig auf zwei kleine separate Zimmer. Dies bleibt wohl eher Wunschdenken. So langsam findet sich die ein oder andere versteckte Ecke zum Telefonieren, Chatten, Filme gucken oder einfach nur Abstand nehmen. Das ist hier wirklich notwendig. Wohnen und arbeiten am selben Ort heißt, 24 Stunden am Tag Freiwillige zu sein ohne Auszeit. Immer lächelnd, immer zuvorkommend. Schon am frühen Morgen noch vor dem ersten Schluck ungenießbaren koffeinfreien Kaffees Offen sein für alles und jeden. Es ist nur übergangsweise, hieß es, so circa eine Woche. Die Dritte steht bereits in der Tür.

Der am Dienstag erstellte Stundenplan scheint alles andere als projektbezogen zu sein. Aufpassen auf mental eingeschränkte Senioren und Small Talk verdrängen Kunst und Kultur, Event- und Wochenplanung. Wir müssen die Leitung AgeSong’s verstehen. Als Freiwillige füllen wir ein Lack in der Pflege und Fürsorge der Bewohner. Dies sei eine Ausnahmesituation, natürlich nicht für ein ganzes Jahr. Und für wie lange dann? Ein Monat, ein Vierteljahr?

In einer E-Mail teilte ich unserer Ansprechpartnerin und pädagogischen Betreuerin vor Ort die momentane Situation mit und bat um Unterstützung. Unser Einsatzgebiet soll noch einmal geklärt und an die Projektbeschreibung angepasst werden. Sie würde sich nächste Woche darum kümmern.

Ein Schritt in die richtige Richtung?

Nachdem wir in den letzten Tagen immer wieder fragend von Pflegern und Krankenschwestern angeschaut worden waren spürten wir deutlich, dass wir überflüssig sind. Es verschlug uns genervt und gelangweilt in die hauseigene Bibliothek. Dort gab es vielmehr als nur Bücher. An einem kleinen Schreibtisch und am Laptop arbeitend, lernten wir Sharon kennen. Sie hörte sich all unsere Bedenken und Befürchtungen an, hatte Verständnis und  brachte mit weisem Ratschlag Licht ins Dunkle. Ein Gespräch musste her. Eine Klärung der Rahmenbedingungen, Einsatzbereiche und Vertragsinhalte. „Assertive!“ sagte sie. „Seid bestimmend, fordernd, selbstsicher, aber fair! Setzt euch durch. Ihr seid hier, weil AgeSong euch durch ein Projekt begeistert hat. Eine komplette Änderungen des Arbeitsfeldes hätten sie euch rechtzeitig und noch vor der langen Reise mitteilen müssen.“

Das gewollte Gespräch kam schneller als erwartet. Zwei Stunden später fanden wir uns im Büro des Community-Leiters Jim wieder. Er hörte sich alles in Ruhe an. Von unserem geplanten Einsatz am Wochenende, von dem wir erst kurzfristig und durch Zufall erfahren hatten, bis hin zum Füttern einzelner Bewohner. Ich bewundere jeden, der älteren und kranken Menschen mit solcher Unterstützung helfen kann. Mir bereitet diese Arbeit Probleme. Zu meinem Erstaunen wusste Jim weder genaueres von unserem neu erstellten Stundenplan noch hatte er mitbekommen, welche Aufgaben wir Tag für Tag  erledigen sollen. Er wollte alles noch einmal mit den zuständigen Interns besprechen, unseren Plan umstrukturieren und mehr an unser Projekt anpassen. Das dies bis dato noch nicht erfolgreich geschehen ist mag wohl daran liegen, dass weder unsere Bewerbungen noch die Stellenausschreibung jemals von den Mitarbeitern hier gelesen worden war. Von unserem Vertrag mal ganz abgesehen.

Wie es nun in Zukunft weiter geht, ist fraglich. Aus den Erfahrungen der letzten zwei Wochen heraus bin ich skeptisch bezüglich einer kurzfristigen Problemlösung. Wir werden sehen.

500 Wörter für die Welt

Die nächsten Tage kämpfe ich mit einer ordentlichen Erkältung. Ich versuche nicht zu sehr mit den Senioren in Kontakt zu treten, was sich als ziemlich schwierig erweist. Mit Hausmitteln dagegen anzukämpfen, lässt sich hier nicht realisieren – ohne Küche oder der Möglichkeit, Nahrungsmittel vernünftig zu lagern. Ich hoffe bis zum Wochenende fit zu sein. Wir wollen shoppen gehen und das zweitgrößte Chinatown nach New York besichtigen.

In Zukunft werde ich den ein oder anderen Text für die Internetzeitung „AgeSong today“ schreiben.  Hier die deutsche Version meines ersten veröffentlichten Artikels:

Zwei Wochen liegen bereits hinter mir. 14 Tage mit neuen Eindrücken, Menschen und neuem Umfeld.  Ein Jahr lang wird San Francisco mein zu Hause sein. Ich komme aus Deutschland und absolviere in den nächsten 12 Monaten meinen Internationalen Jugendfreiwilligendienst bei AgeSong Senior Communities.

AgeSong liegt das Befinden der Senioren sehr am Herzen. Im Vordergrund stehen nicht Krankheiten, mentale Probleme oder Schwächen. Mit einem auf die Senioren abgestimmten Wochenplan werden körperliche und psychische Fähigkeiten der Bewohner gefördert. Sie fit zu halten ist das Ziel. Sie sollen sich nicht abgeschoben oder allein fühlen. Durch das bilden kleiner Wohngemeinschaften in Doppelzimmern oder Gruppenaktivitäten wie Touren mit dem Van, einer Tea Party oder den wöchentlichen Poker Games werden die Senioren zu einer kleinen Familie.  Der individuelle Umgang mit jedem einzelnen hat mich beeindruckt. Hier wird die Meinung der Senioren respektiert, ihr Wille steht im Vordergrund, gezwungen wird hier niemand. Es kann sehr hart sein, wenn sich Wünsche ständig ändern, Stimmungen schnell kippen und Bedürfnissen nicht immer nachgegangen werden kann.

Dennoch lohnt sich jede Arbeit in dem Moment, wenn sie Lächeln, sich freuen oder einfach nur die Hand nehmen und sagen: „Danke“.  Ich werde bei AgeSong at Laguna Grove im kulturellen Bereich tätig sein. Mit Spiel, Sport und Spaß möchte ich den Senioren den Tag versüßen, mir von ihnen zeigen lassen, was leben in den USA bedeutet und auch ein Stück meiner Kultur weitergeben. Ich finde es schön auch hier zu sehen, dass man sich um die Menschen im Alter kümmert und sie lieb gewinnt. Sie werden akzeptiert, egal wie jung, wie gesund oder wie fit sie psychisch noch sind. Wenn ich einmal älter bin, hoffe ich auch auf solche Unterstützung. In Deutschland gibt es auch Institutionen wie AgeSong, die sich um die Senioren kümmern und für sie sorgen. Es ist nicht nur eine Unterkunft, ein Bett und etwas zu essen.  Es ist die Fürsorge, das Zusammensein und das Gefühl, wichtig zu sein. AgeSong Senior Communities zaubert jedem ein Lächeln ins Gesicht und bringt Senioren und Angehörigen Sicherheit und Verständnis entgegen.

„AgeSong has created a place of healing and support for the aging … a place where people feel valued“ – Family Member

Original: agesongtoday.com

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Step by Step

Fünf Tage sind bereits vergangen und endlich haben sich Kreislauf und Kopf an die Zeitumstellung gewöhnt. Zwölf Uhr nachts ist nun nicht mehr Frühstückszeit und zum Mittagessen sehne ich mich nicht mehr nach Sandmännchen und Bettzipfel. Ein großer Schritt ist damit getan.

Ich gebe zu, heute Morgen nicht allzu elanvoll gewesen zu sein. Bei unserem 45 Minuten Meeting konnte ich am Ende kaum noch sitzen. Als wir erneut zum Aktenordnen verdonnert wurden, verflog auch der letzte Hauch an Schaffenslust. Das war doch nicht sein Ernst? Immerhin bekamen wir den ganzen Tag dafür Zeit. Jetzt stand erste einmal Thai Chi auf meinem Plan.

Kennen wir uns?

Thai Chi mit Senioren konnte ich mir anfangs kaum vorstellen. Nur wenige Bewohner sind nicht bewegungseingeschränkt und längeres Stehen mutet man hier niemandem mehr zu. Die Umsetzung sah wie folgt aus: sechs bewegungsfreudige Menschen bilden einen Halbkreis mit Blick auf den Fernseher. Ein netter grauhaariger Mann mit Vollbart erscheint auf dem Bildschirm. Er wollte das heute „Training“ leiten. Eine halbe Stunde lang wurden von der Hüfte an aufwärts alle Muskeln durch schwimmen, Arm kreisen, wedeln, pushen aber auch tiefes und ruhiges Atmen beansprucht. Ein Blick nach links und rechts ließ mich in angestrengte aber zufriedene Gesichter schauen. Für einen Moment schien alles entspannt und ausgeglichen zu sein. Im anderen Moment wusste ich, dass die Hälfte der strahlenden Menschen sich schon bald weder an diese Freude noch an Thai Chi erinnern würde. Ich werde eine Weile brauchen, um damit umgehen zu können.

Für starke Nerven und ein gutes Trommelfell

Als der Fahrstuhl die untere Etage erreichte, kam mir ein enormer Geräuschpegel entgegen. Da saß eine Dame völlig entrüstet in ihrem Rollstuhl. Mit hochrotem Kopf schimpfte, plärrte und weinte sie. Sie zu beruhigen machte keinen Sinn. Sie akzeptierte nichts mehr.

Von unserem Chef erhielt ich die Aufgabe, sie gemeinsam mit einem Fahrer zur Bank zu fahren, damit sie dort alle Fragen und Bankgeschäfte, die sie bedrückten, klären konnte. So lernte ich Eddy kennen. Es war eine laute Fahrt. Die dramatisierende alte Dame auf dem Rücksitz sorgte für ordentlich Stimmung in unserem kleinen Van. Jeder Hügel, über den wir fuhren, war zu hoch. Jedes Wort das Falsche und Schweigen interpretierte sie als unhöflich und abstoßend. Dass sie mich die ganze Zeit über beschimpfte, ignorierte ich dezent.

In der Bank angekommen trafen wir auf einen sehr ruhigen gelassenen Mitarbeiter, der unserem kleinen Problemfall alle Zeit der Welt gab, sich zu sortieren und zu orientieren. So wurden Plastiktüten, Gummibänder und stark geknickte Unterlagen quer über den Tisch verteilt. Ich wunderte mich, wie die Seniorin tatsächlich die benötigten Papiere finden konnte.

Dazu ist sie im Diskutieren ein absolutes Ass. Ständig hatte sie neue Einfälle, Ideen und Forderungen. Eine Stunde später und mit beantragtem Scheckbuch und 100 Dollar in ihrer Tasche, verließen wir die Bank.

Mit Eddy und seinem Van verbrachte ich einen angenehmen Arbeitstag. Wir brachten Senioren zum Arzt, wobei ich zum ersten Mal sah, wie medizinische Versorgung in den USA funktioniert. Er lud mich zum Mittag ein, zeigte mir nach der Arbeit, wo ich am Besten einkaufen kann und versuchte, mir möglichst preiswerte Sachen zu zeigen und zu empfehlen. Sich in diesen riesigen Läden zurecht zu finden, ist schwieriger als erwartet.

Über den heutigen Tag kann ich mich nicht beschweren. Ich habe viel erlebt, viel gelacht und wieder ein Stück mehr von San Francisco kennen lernen dürfen. So könnte es doch eigentlich weiter gehen.

first workingdays

Die ersten zwei Arbeitstage liegen hinter mir. Tage, welche nicht die erhoffte Klarheit über meine Aufgaben und Projekte bei AgeSong brachten. Dennoch möchte ich sie nicht missen.

Für die Mitarbeiter dieser Community – auch genannt „Interns“ – ist es ebenso wenig einfach, das Projekt „Deutsche Freiwillige bei AgeSong“ erfolgreich in den Alltag zu integrieren, als es das Zurechtkommen mit ungeklärten Themen und Sachverhalten für uns ist. Es hat Umstrukturierungen innerhalb der Institution gegeben. Neue Mitarbeiter lösten alte ab, Senioren wurden umquartiert, neue Senioren zogen ein.  Trotz Stress und Durcheinander wird an Freundlichkeit und lächelnden Gesichtern nicht gespart. Das erleichtert einiges.

Aller Anfang ist schwer

Gleich am Montag wurde deutlich, dass sich keiner so richtig für uns zuständig fühlte oder ein wenig Ahnung hatte, wie wir eingesetzt werden sollten. So begann unser erster Arbeitstag dem Zusammenbauen von Umzugskisten und dem Sortieren von alten Akten. Zwei „Challenges“, wie unser neuer Chef es grinsend nannte. Ich habe mich ein bisschen auf den Arm genommen gefühlt.

Der zweite Teil des Tages bestand aus Small-Talk mit den Senioren, was sich als durchaus schwierig  erwies. Außer das Wetter, den Gemütszustand oder den Lebenslauf vielen mir auf Anhieb nicht all zu viele Gesprächsthemen ein. Warum das problematisch war? Nun ja, es ist nicht einfach, mit Menschen zu reden, die man nicht kennt und die einem noch vollkommen fremd sind. Dazu in einer anderen Sprache. Komplizierter wird es jedoch erst richtig, wenn die jeweiligen Gesprächspartner entweder nicht antworten oder gar nach fünf Minuten vergessen haben, was vorher gesagt worden war und erneut anfangen zu fragen, wer man sei. Ich hoffe trotzdem, dass die Leute sich über die gemeinsame Zeit freuen.

Am Nachmittag durften wir auf einen Ausflug mit. „An Bord“  des AgeSong-Vans sechs Senioren, eine Freiwillige aus Malaysia, wir und Sushi, Chef der ganzen Tour. Über die Bay Bridge hin weg hatten wir einen absolut traumhaften Blick auf die Golden Gate Bridge und Alcatraz, tief im weißen, wolkenähnlichen Nebel eingehüllt. Nur noch die Spitzen der Brücke waren zu sehen. Ringsherum war es jedoch klar und sonnig.P1000134_2

Nach circa 40 Minuten Fahrt erreichten wir unser Ziel. Ein Hundepark. Nunja, ein solcher Park ist gewöhnungsbedürftig. Hier haben die Hunde das sagen. Spielen, raufen und bellen so viel sie wollen. Eine schöne Idee, als menschlicher Besucher sollte man beim Spazieren gehen jedoch genau darauf achten, was sich auf Weg und Wiesen befindet. Natürlich stand auch hier wieder das Plaudern mit den Senioren im Vordergrund. Diesmal hatte ich einen pessimistischen netten Herrn an meiner Seite. Eine gelungene Abwechslung zum Selbstgespräch.

Um noch ein bisschen abzuschalten, erkundeten wir nach unserem frühzeitigen Abendessen noch ein wenig die Gegend. Wie es sich gehört gelangten wir natürlich genau in die Gegend San Franciscos, die nicht so sehr für zwei blonde junge Frauen geeignet ist. Dieser Teil der großen Market Street war Raum der farbigen und ärmeren Bevölkerung. Wie gut, dass es viele Querstraßen zum Abbiegen gibt.

Über die Hyde Street, durch die Serie „Charmed“ bekannt geworden, Berg auf, Berg ab, an Cables Cars vorbei, traten wir kurz vor Chinatown den Rückweg an. Eine solch kleine Tour durch San Francisco kostet schon etwas Kraft. Ein gutes Work-out nach der Arbeit.

Spiel, Spaß – Senioren eben

Der Dienstag gestaltete sich etwas arbeitsintensiver. Auf dem Plan standen nach dem täglichen Meeting der „Internes“: Spaziergang mit einem Senioren und dessen Hund – wobei bei allen hygienischen Vorschriften es höchst sonderbar ist, dass Haustiere hier wohnen dürfen. Anschließend Sport und Spiel mit freiwilligen Bewohnern, die ordentlich Kraft in Tennisschläger und Ballon investierten. Um nach der Mittagspause wieder gemütlich in die Arbeit einzusteigen durfte das Akten ordnen natürlich nicht fehlen und Musik und Gesang brachte dann den Höhepunkt des Tages. Es war schön, auch eingeschränkte Menschen so fröhlich und frei auf einen Xylophon spielen zu sehen. Zum Schluss gab es noch eine Einladung zum Bandkonzertes des Musiktherapeuten Ian Donnerstag Abend. Auch wenn ich wohl allein gehen muss, denn meiner Mitfreiwilligen fehlen noch drei Jahre bis zur amerikanischen Volljährigkeit. Und bis dahin sind Bars tabu.

Licht im Dunkeln

Kurz vor Feierabend fühlte sich endlich jemand verpflichtet, uns einmal mehr über AgeSong, die kommenden Tage und die Gegend zu erklären. Sie fragte nach unseren Erwartungen und Vorstellungen, stellte uns einen kleinen Ablaufplan bis Sonntag auf und zeigte uns zum Schluss noch Supermarkt, Busfahrplan und Waschsalon. Ob das jetzt etwas beruhigender war, weiß ich noch nicht. Zumindest ist es schön zu wissen, einen direkten Ansprechpartner zu haben.

Morgen werden wir außerhalb mit einigen Senioren essen gehen. Man hat uns schon vor der Neugier und Gesprächsbereitschaft der Damen und Herrn gewarnt. Was denken sie wohl über uns, was werden sie fragen und wissen wollen?

Für heute heißt es erst einmal durchatmen und entspannt in den Abend gehen. Besuch wird kommen, ein Bekannter und ehemalige Bewohner der Stadt. Ich freue mich darauf, ihn mit Fragen zu löchern und so ein Stück mehr über Leben und Arbeiten in San Francisco zu lernen. Denn die USA ist wirklich anders als die anderen.