knight in shining armor

Zwischen Kisten und Akten, Papiervorräten und Kabeltechnik ist es ziemlich warm und stickig. Wir versuchen, uns bestmöglich zu konzentrieren. Schauen auf den Laptopbildschirm und ordnen Schritt für Schritt die Folien unserer Deutschland-Präsentation.  Es ist nicht leicht, einen Tisch zum Arbeiten zu finden, wo es gleichzeitig eine Internetverbindung gibt. Für uns gibt es einen solchen Platz nicht. Somit arbeiten wir in der kleinen Abstellkammer AgeSongs.

Mit kühlen Temperaturen zog der P1000962_2Herbst in San Francisco ein. Dicker Nebel breitet sich in den Küstengebieten aus. Nur noch selten sieht man Schiffe am Horizont des Pazifiks fahren. Morgens auf dem Weg zur Arbeit möchte ich meine warme Wetterjacke und die kleinen Handschuhe nicht missen. Auch Kalifornien ist nicht nur Sommer, Sonne und Strand. Zumindest San Francisco nicht.

San Francisco im Halloween-Fieber

Von den Unwettern an der Ostküste redet hier niemand. Im Gespräch ist das Baseball-Team der Stadt – die „Giants“ –, die als Favoriten der „World Series“ gelten. Halloween steht an mit großer ‚Giants‘-Parade in einer Stadt im Ausnahmezustand. Schon jetzt bin ich gespannt auf die vielen kostümierten Menschen, den Trubel in der City und den kleinen Kindern, die abends an jeder Haustür um Süßes bitten. Mein handgeschnitzer Kürbis wartet schon an der Tür.

P1000959_2Unsere kleine Halloween-Party im AgeSong—Café „Vergiss-mein-nicht“ ist bis auf Kleinigkeiten vorbereitet. Selbst der Fahrstuhl wurde mit Spinnennetzen und Fledermäusen verziert. Nebel und Kälte tragen zur optimalen Gruselstimmung bei.P1000972_2

Ein Herz für Robby und Co.

Unser Montagsausflug mit den Senioren führt uns heute nach Fort Cronkhite in Sausalito. Der Ort liegt auf der anderen Seite der Golden Gate Bridge – eine wunderschön hügelige Landschaft in der Bay Area. Viel Sicht hatten wir nicht. Ich habe erst spät erkannt, dass wir das Wahrzeichen San Franciscos überquerten, da mehr als die Randzäune in einem Radius von zwei Metern nicht sichtbar war. Unsere kleine Reisegruppe beschloss, das „Marine Mammal Center“ zu besuchen – einem Krankenhaus für Seelöwen und verunglückte, kranke Meerestiere.

Es war niedlich, die kleinen Seelöwen in ihrem kleinen Krankenhausbecken planschen zu sehen. Der Eine schwamm Runde für Runde im Wasser ohne Pause, der Andere genoss es, am Beckenrand  zu liegen und zu schlafen. Umso lauter beschwerte er sich, als sein „Beckenkamerad“ ihn zum Plaudern und Mitschwimmen animieren wollte.

Auf den Informationstafeln war kurz und knapp dargestellt, wie und warum sich das Marine Mammal Center um diese Tiere kümmerte. Viele Seelöwen sind durch den Müll der P1000982_2Menschen gefährdet, werden Opfer von Fischern oder leiden an Verletzungen, die sie sich draußen im Meer zugezogen haben. Die Mitarbeiter des Centers retten solche Tiere und bringen sie in dieses Krankenhaus. Die kleinen Seelöwen werden behandelt, wie Menschen: man operiert sie, gibt ihnen Medikamente, versorgt sie und macht sie wieder fit. Das Ziel soll die Freilassung in den Pazifik sein.

Ich war beeindruckt. P1000989_2Dennoch war die Ausstellung im Haupthaus etwas gruselig. Große und kleine Schädel, Organe in Gläsern aufbewahrt in den Regalen, Felle wie Teppiche auf den Schränken. Schilder wiesen darauf hin, dass es sich hierbei nur um Tiere handelt, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Trotzdem war es ein trauriger Anblick.

Mit dem wöchentlichen Montagsausflug habe ich die Möglichkeit, immer neue Orte und Attraktionen der Bay Area kennen zu lernen und zu erleben. Ich hoffe, dass der starke Herbstregen, welcher bis in den Februar hinein reichen soll, noch lange auf sich warten lässt. Es gibt noch so viel zu entdecken…P1010022_2

“Holiday Dreams come true…” – my new article!

Endlich wurde er veröffentlicht: pünktlich zu Halloween erscheint mein neuer Artikel für das online Journal “AgeSong today”! Für euch wie immer in deutscher Übersetzung:

„Ein Blick aus dem Fenster verrät, dass sich nun auch die letzten Sommertage dem Ende zu neigen. Regentropfen klopfen sanft ans Fenster. Jetzt möchte jeder gerne ein warmes zu Hause haben, mit einem Tee auf der Couch sitzen, Musik hören oder einfach nur nicht allein sein. Ich sehe mich um. Hier bei AgeSong schauen Senioren und Mitarbeiter gespannt auf den Fernseher. Zeit für Baseball. Es ist ruhig. Nur der Getränkeautomat rauscht im Hintergrund. Plötzlich ein Tor. Die Giants liegen vorn. Die Dame auf dem Sofa ins ganz aus dem Häuschen. Die Herren am Tisch nicken sich zustimmend zu. Die Seniorin im Rollstuhl lächelt. Das Spiel ist ein Event für alle, Senioren und Mitarbeiter, Familie und Besucher. Das Zusammensein ist AgeSong wichtig.

Wir blicken auf die kommende Zeit. Halloween steht vor der Tür. Wir planen eine kleine Party in unserem ‚Vergiss-mein-nicht-Café‘. Als Freiwillige aus Deutschland basteln und kreieren wir kleine Spiele und Dekorationen für zwei gruselig-schöne Stunden.

Wir denken an Thanksgiving. Auch das Vergessen wir nicht. Für mich aus Deutschland ist dieses Fest neu. Ich bin gespannt auf den 22. November und meinen ersten Truthahnbraten.

Wir schauen in Richtung Weihnachtszeit. Neben Plätzchenduft und Pfefferminz, freuen wir uns auf das gemeinsame Singen und gemütliches Beisammensein bei Tee, Kaffee und Kerzenschein. Auch Hanukka wird gefeiert. Bei mir zu Hause ist der „Stollen“ – ein Fruchtkuchen – eine Weihnachtstradition. Um die Senioren und Mitarbeiter von AgeSong für diese Delikatesse zu begeistern, werde ich diesen Stollen ganz persönlich nach dem Rezept meiner Uroma backen.

Für mich ist der Herbst buntes Laub, Kastanien und Drachensteigen lassen – die Weihnachtszeit Schneemann bauen, Adventskranz und Schlittschuh laufen. Wie anders wird es wohl in San Francisco sein? Was erwartet mich? Schon als Kind träumte ich von den bunt geschmückten Gärten und Häusern Amerikas, Paraden mit Santa Clause und seinen Rentieren und einem Strumpf über dem Kamin am Weihnachtsmorgen. Ich freue mich auf eine wunderbare Zeit. In einer Stadt an der Westküste – 10.000 Kilometer von der Heimat entfernt.”

Original: agesongtoday.com

breakfast table and a cup of coffee

Langsam legt sich der dicke Nebel über dem großen weiten Ozean. Die Sonne scheint mit aller Kraft und der Himmel ist klar und wolkenlos. Schiffe fahren am Horizont. Es ist Sonntag. Ein Sonntag, wie er sein sollte. Vergessen sind die kurzen, unruhigen Nächte der vergangenen Wochen. Auch wenn der Alltag für die Senioren hier gegen sechs Uhr morgens beginnt und es dementsprechend laut auf dem Flur wird, so ist es nachts still und friedlich. Inzwischen habe ich mich in meinem neuen Heim eingelebt, auch wenn es nur für einen kurzen Zeitraum sein wird.

Unser neues Appartement soll in einer kleinen Nachbarstadt liegen, in Alameda. Wenn alles klappt, ziehen wir am 11. November um. Wir werden sehen. Jetzt genieße ich erst einmal den Blick aufs Meer, am Frühstückstisch sitzend und einem frischen warmen Kaffee.

Kommen und gehen

Am Freitagmorgen wachte ich zum ersten Mal in meinem neuen Bett auf. Ich genoss ein Frühstück am Tisch mit einem richtigen Käsebrot, Tomaten und Kaffee. Auch wenn es hektisch war und wir etwas unter Zeitdruck standen – darauf wollten wir nicht verzichten. Wie erwartet kamen wir 20 Minuten zu spät zur Arbeit. Aufgefallen ist es keinem.

Stolz betrachtete ich unsere P1000915_2kreativen Werke im Keller AgeSongs. Nur wenige Pinselstriche fehlten noch. Die Hexe brühte vor sich hin, der Kürbis leuchtete im schönsten Orange und der Geist bekam große Augen und ein süßes Lächeln. Oben im Café standen Spinnennetze und Fledermäuse zum Dekorieren bereit. Alle packten mit an: ein Senior, ein Intern, Studenten der Universität und wir Freiwilligen aus Deutschland.

Die Zeit verging wie im Fluge. Meine Entspannungsgruppe stand an. Seit vier Wochen gehören dreißig Minuten mir und den Senioren ganz allein. Eine halbe Stunde abschalten, entspannen, atmen und den Alltag vergessen. Die dankbaren Augen der Senioren sind jeden Freitag erneut eine Freude.

P1000943_2Noch einmal setzten wir uns zu den Bewohnern in den Aufenthaltsraum – malten Kürbisse für unser Mobilee. So manche Dame macht sich zum ersten Mal bemerkbar. Auch wenn sie ihren Arm alleine nicht mehr heben kann, ihre Augen zu schwach sind, um Bilder und Farben zu erkennen, so wollte sie trotzdem helfen, einen Kürbis für unsere Halloween-Party zu gestalten. Ich  frage sie nach einer Farbe, nehme einen Stift und ihre Hand und führe ihre Finger über das Papier. Am Ende entsteht ein Bild, worauf sie stolz sein kann. Sie kann nicht viel sagen, zeigt jedoch, dass es ihr gefallen hat. Auf der anderen Seite des Tisches malt eine mexikanische Seniorin eifrig Kürbis für Kürbis an. Verschiedenste Gesichter entstehen. Ich bin beeindruckt.P1000934_2

Acht Stunden sind vergangen. Es ist Feierabend. Noch einmal drehe ich mich um, winke der Dame an der Rezeption zu. Wir sehen uns nächste Woche! Es ist 17 Uhr als die Tür hinter mir ins Schloss fällt und ich mich auf den Weg in mein neues Heim mache.

Why?

Die Sonne ist schon lange untergegangen. Kaum ein Mensch ist draußen auf der Straße. Es riecht nach Apfel und Zimt – Wintertee mit Grüßen aus Deutschland. Die Kerze auf dem kleinen Kaffeetisch  kämpft um das kleine Flämmchen, welches im Wachs zu ertrinken droht. Es ist 21 Uhr. Während ich in das zarte Licht schaue, versuche ich die letzten Tage noch einmal Revue passieren zu lassen.

Unverständnis

24. Oktober: Ich hatte es aufgegeben, auf ruhigere Nächte zu hoffen, fand mich mit den unglaublich vielen Kompromissen, die wir hier eingehen mussten, ab. Es war nicht schön, in einem Seniorenheim zu leben, für mich nach so langer Zeit nur noch schwer ertragbar. Aber jegliche Bitte um Veränderung der Situation blieb unerfüllt. Auch Druck half nichts. Es wurde viel Versprochen und viel geredet – alles leere Worte. Sieben Wochen liegen hinter mir und noch immer keine neue Unterkunft in Sicht. Warum nur?

Es war ein ganz gewöhnlicher Mittwoch. Müde saß ich im Meeting und versuchte, dem Gespräch zu folgen. Der Chef befand sich für eine Woche im Urlaub. Seine Meditationsgruppe sollte ausfallen, weil es keinen Ersatz für ihn gab. Ein oder zweimal habe ich selbst daran teilgenommen. So richtig meditieren konnte man das nicht nennen, aber den Senioren gefällt es. Es tat mir leid für sie, dass eine doch recht beliebte Gruppe entfallen sollte. Spontan übernahm ich den Kurs für 11 Uhr.

Es war eine gute Runde. Die Senioren waren dankbar für jedes Wort. Wer zur Meditation kommt ist recht unabhängig und mental noch gut dabei. Wir konnten diskutieren, uns richtig unterhalten. Eine Seltenheit hier. 30 Minuten vergingen wie im Flug. Anschließend: Mittagessen mit den Bewohnern außerhalb AgeSongs in einem kleinen Burger-Restaurant namens „Flippers“. Mit Rollstuhl, Gehhilfe oder selbst zu Fuß – wer kann, darf mit. Beim Essen werden Portionen geteilt. Ein komplettes Gericht wäre zu viel für die Senioren. So mancher Diabetiker darf ausnahmsweise essen, was ihm Spaß macht. So manche Dame blüht auf und plaudert, wie nie zuvor. Es ist gewöhnungsbedürftig, aber auf keinen Fall unangenehm.

P1000905_2Wer könnte man nach einem doch bisher recht schönen Tag an etwas Negatives denken? Ich hatte heute Spaß bei der Arbeit. Im Keller kreieren wir die Dekoration für eineP1000913_2 kleine Halloween-Party. Ein kleines Geisterschloss für Minigolf, eine Hexe, die im Kessel kocht. Ein Geist mit leuchtend blauen Augen, eine Spinne und ein Kürbis-Mobilee trocknen unter dem Klavier. Alles wartete auf seine Vollendung. Am Freitag sollte es fertig sein. Nach einer kleinen Mittagspause wollten wir in den Endspurt gehen. Doch daraus wurde nichts.

Ohne Worte

Wir hatten das Gebäude AgeSongs noch nicht betreten, schon spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Einige Interns sahen uns nur an oder machten einen Bogen um uns. Unser Supervisor – zu gut deutsch Leiterin – trat zwischen uns und wollte mit uns reden. Sie brauchen unser Zimmer für eine neue Mitbewohnerin. Ganz plötzlich und unerwartet, wie aus heiterem Himmel. Ich verstand nicht ganz, was sie meinte. Wir hatten keine andere Unterkunft. Ständig wurde uns erklärt, dass es kein anderes Zimmer für uns zum Wohnen gab. Und plötzlich sollten wir aus unseren acht Quadratmetern ausziehen?

Ein weiterer Intern kam auf uns zu. Sie sei für uns Freiwillige aus Deutschland zuständig. „Hi Leute“, sagte sie, „ich habe schlechte Neuigkeiten. Naja, eigentlich sind sie nicht so schlecht, aber ja. Wir brauchen euer Zimmer und müssen euch somit umquartieren.“  Verzeihung. Wie bitte? „Wir haben zwei Möglichkeiten für euch: entweder das Zweitbettzimmer gegenüber von euch oder eins im anderen Gebäude. Da könnte es jedoch sein, dass ihr jeden Tag erneut umziehen müsstet, weil wir die Zimmer dort brauchen.“ Ich starrte sie an. Hatte ich das grade richtig verstanden? Sieben Wochen lang hatte es keine Möglichkeit gegeben, uns ein anderes etwas größeres Zimmer zu geben und plötzlich das? Erst vergangenen Freitag hatten wir das Thema diskutiert und da war ein Zimmerwechsel sofort abgelehnt worden.

Wir hatten jetzt die Wahl zwischen einem Zimmer, wo wir zwei Menschen haben sterben sehen müssen, oder einem Raum, wo wir morgen womöglich gleich wieder rausgeschmissen werden. Das konnte nicht ihr ernst sein. Hatten wir nicht die letzten sieben Wochen genug mitmachen müssen? Mir standen die Tränen in den Augen, gleichzeitig kroch die Wut in mir hoch. Ich konnte nicht mehr. Ich war mehr als an meinen Grenzen angekommen. Meiner Mirfeiwilligen ging es ähnlich. „Wann?“, fragte ich leise. Ich sah ihr direkt in die Augen. „Wann müssen wir unsere Sachen packen?“ „Am besten gleich, so früh wie möglich.“ Ich holte tief Luft. Das war ein Albtraum. „Hi Leute, ich weiß, dass ist nicht so, wie wir gedacht haben. Aber wir arbeiten weiter an eurem Appartement. Echt. Aber jetzt muss es erst mal so sein. Wir brauchen den Raum für eine neue Seniorin. Da müsst ihr leider Platz machen. Aber so schlimm ist das ja nicht. Macht einen Spaziergang und packt dann eure Sachen, ja?“

Mehr hörte ich nicht. Ich ließ sie in der Lobby stehen und stürmte nach draußen. Umziehen? Gleich? Sie suchen ein Appartement? Ich hatte diese leeren Worte satt. Seit sieben Wochen wird viel geredet, nichts getan. Wir sind geduldig, machen alles mit, und nun das? Ich sah durch die Glastür. Zwischen Interns, die auf sie einredeten, und quatschenden Senioren stand meine Partnerin genauso fertig wie ich. Ich ging hinein in Richtung Zimmer. Dort standen Hausmeister und Techniker, Supervisor und andere Mitarbeiter der AgeSong Leitung. Auf meinem Bett und Koffer Schraubenzieher, Verpackungen und Kabel. Mein Kuscheltier lag auf dem Boden zwischen Schuhen und Staub. Ich nahm meine Partnerin bei der Hand und zwängte mich ins Zimmer. Ohne auf die anderen zu hören packte ich alles zusammen, was mir lieb und teuer war. Ich wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Mir fehlte jegliches Verständnis für diese Situation. Ich schnappte mir meinen Laptop suchte mir eine ruhige Ecke, um nach Deutschland zu telefonieren. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. In diesem Moment wollte ich nur noch nach Hause.

Und trotzdem geht es weiter

Ich brauchte eine Weile, ehe ich mich beruhigt hatte. Ohne eine Miene zu verziehen gingen wir zurück. Inzwischen waren Haustechnik und -leitung wieder verschwunden. Wir packten unsere Sachen. All‘ zu schwer war das nicht. Nur wenig war ausgepackt. Die letzten Wochen hatten wir schließlich aus unseren Koffern gelebt. Wir wussten nicht genau, wohin, waren uns jedoch sicher, dass wir lieber jeden Tag umziehen wollten als in einem Zimmer zu leben, wo wir so viel Leid gesehen hatten. Wir brachten unser Gepäck auf die andere Straßenseite. Erneut versuchte jeder auf uns einzureden. Im Fahrstuhl wollte man uns weis machen, dass dies eine einzigartige Erfahrung sei. Ohne Verschönerung, sachlich und klar erklärte ich noch einmal, wie wir uns fühlten, welche Probleme wir haben und wie schwierig uns das Leben hier fällt. Aber auch das hatte ich schon öfter getan und trotzdem gab es bisher keine Veränderungen.

Wir betraten unser neues Zimmer. Es war größer, zwei Betten, ein Schrank. Die Mitarbeiter der Etage sahen uns voller Mitleid an. Sie boten uns jeder Zeit ihre Unterstützung an. Das war lieb gemeint, aber momentan wollte ich nichts mehr sagen, nichts mehr hören. Noch immer kämpfte ich mit den Tränen, dachte an zu Hause, Familie und Freunde. Was nun?

Wir fuhren mit dem Fahrstuhl nach unten. In Gedanken versunken stieß ich fast mit der Köchin zusammen.  Sie sagte etwas über eine Idee, einen Plan, ein Zimmer in einem anderen Appartement. Ich konnte ihr nicht ganz folgen. Sie nahm uns mit nach draußen auf die Straße, rief unserem Supervisor zu, dass wir losfahren könnten. Es hatte sich ein Zimmer in einem Appartement gefunden, wo wir bis zum Umzug in unsere eigenen vier Wände leben könnten. Hinterm Golden Gate Park, in der Nähe vom ‚Ocean Beach‘.

Ein Lichtblick

Zu viert fuhren wir in einem Caprio gen Westen. Die Sonne strahlte, der kalte Wind blies mir durch die Haare. 25 Minuten später erreichten wir das weiße Zweifamilienhaus. Ich wusste inzwischen, dass der Eigentümer des Hauses den Gründer AgeSongs kannte. Das Appartement war zum Seniorenheim umgebaut wurden. Unten leben Senioren, oben wohnt der Hausherr selbst. Wir wurden freundlich begrüßt. Recht unsicher betrat ich das Haus. So richtig sortiert hatte ich die letzten zwei Stunden in meinem Kopf noch nicht. Wir wurden durch einen langen Flur in ein großes geräumiges Zimmer geführt. Dort stand ein Bett, ein großer weißer Einbauschrank, zwei Nachtschränkchen, ein kleinerer Schrank und ein gro.ßer Spiegel. Diesen Raum stellte uns der Eigentümer für die nächsten Tage zur Verfügung. Er führte uns weiter herum in eine kleine Küche mit Kühlschrank, Reiskocher und Mikrowelle. Er bot uns an, seine eigene Küche zu benutzen mit Herd und Ofen, Töpfen und Pfannen. Zum  Kochen, wann immer wir möchten.

So vieles wäre hier einfacher, entspannter. Endlich könnte ich Arbeit und Privatleben trennen. Meine ‚Kollegen‘ würden mich nicht mehr verschlafen im Pyjama sehen. Ich könnte mir mein eigenes Essen zubereiten, Nahrungsmittel lagern und ruhig schlafen. Ausruhen und entspannen am Wochenende und nach der Arbeit. Er führte uns hinaus auf die Terrasse. Die Aussicht war unglaublich. Blick auf das blaue Meer. Hohe Wellen brachen am Strand, Möwen flogen in der Luft und die Sonne spiegelte sich auf dem Wasser des Pazifiks. Ein Gefühl der Erleichterung. Es ist eine Veränderung, wenn auch nicht optimal. Nur eine Nacht noch bei AgeSong. Ein paar Kleinigkeiten müssen erst geregelt werden. Aber der Umzug steht bevor. Donnerstag 10.30 Uhr. Ein Lichtblick.

last summerdays

Der Oktober neigt sich dem Ende entgegen. Sechs Wochen lebe und arbeite ich bereits in San Francisco. Die anfänglichen Startschwierigkeiten ziehen sich bis heute. Noch immer ist mein Vertrag nicht unterschrieben und die Wohnsituation unsicher und unverändert. Wir kämpfen jeden Tag erneut, versuchen, uns gegenseitig hoch zu ziehen und gemeinsam die Tage etwas schöner zu gestalten. Doch es ist und bleibt hart, bei max. acht Quadratmetern zu zweit in einem Seniorenheim zu wohnen.

Die Zeit vergeht. Es wird Herbst in San Francisco. Immer mehr Regentage verdrängen Sonnenschein und Wärme. Ich vermisse das Laub und die Kastanien in Deutschland, freue mich jedoch hier über die vergangenen Sommertage bei fast 30°C.

Santa Cruz

Um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen, fuhren wir trotz Müdigkeit über ein paar Umwege in das zwei Stunden entfernte Santa Cruz. Warum Umwege? Wir machten einen Zwischenstopp in San José und trafen dort ein paar junge Lehrer einer baptistischen Schule, die uns zu diesem Trip eingeladen hatten. Allein für die Hinfahrt von San Francisco nach Santa Cruz brauchten wir beinah vier Stunden. Unsere Gruppe war gut drauf.P1000880_2

Die Landschaft war wunderschön. Ich habe es genossen, einmal außerhalb der Bay Area die Gegend zu erkunden. Wir fuhren den Highway entlang, an Kleinstädten vorbei über Berge und durch Wälder. Nach sechs Wochen in San Francisco eine wunderbare grüne Abwechslung.

Santa Cruz liegt direkt am Pazifik. Wir parkten unseren Minibus an einem bunten Freizeitpark mit Blick aufs Meer. Menschen und Massen. Alles war bunt. An jeder Ecke roch es nach Eierkuchen oder Zuckerwatte. Kitsch vom Feinsten. Der kleine Freizeitpark zog sich den Strand entlang. Es gab nur einen Weg, welcher uns zu allen Attraktionen führen konnte.P1000865_3

Aber wir zogen der P1000870_2Achterbahn und dem „Freien Fall“ einen Strandspaziergang und  die Seehunde vor. Es war einfach schön. Segelboote und Fähren am Horizont. Ein paar Meter weiter fand ein Bandwettbewerb verschiedenster High Schools statt. Trommel und Blasmusik – schnell und langsam, laut und leise. Ich hätte nie gedacht, dass dies „bloß“ Schüler waren.

Wir verbrachten unsere Zeit mit Spaziergängen, quatschen und genossen einfach Sommer, Sonne und Strand. Es war lustig und tat gut, mit Leuten gleichen  Alters unterwegs zu sein. Auch wenn die  Rückfahrt lang war und wir doch recht spät bei Agesong ankamen, so bin ich nach solchen Ausflügen immer etwas zufriedener als vorher. Eben glücklich.P1000856_2

My new article!

Endlich wurde er online gestellt – unverändert! Wie immer für euch das deutsche Original:

Mit viel Sonne und hohen Temperaturen zeigt sich der indische Sommer von seiner besten Seite. Kinder freuen sich, wenn die Schule aus ist und Mama und Papa mit ihnen an den Strand fahren. Jeder liebt den Strand, den Sand, das Meer und den Wind an den Küsten San Franciscos. Den Senioren von AgeSong geht es nicht anders. Mit Eiscreme und Soda machten wir uns diese Woche auf zur Golden Gate National Recreation Area.

Die Sonne spiegelte sich im Wasser und unzählige Segelboote ließen sich von dem frischen Wind treiben. Frei von Wolken und Nebel glänzte auch Alcatraz mitten im San Pablo Bay. Auch wenn das Wasser wesentlich kälter war, als ich es erwartet hatte, so genoss ich den Sand zwischen den Zehen und die kleinen Wellen, die ein meinen Waden brachen. Die Golden Gate Bridge im Hintergrund wirkte eindrucksvoll und stolz. Ein Stück weiter entfernt reichte ein kleiner Steg um einige Meter ins Wasser hinein. Ein Senior kam und wollte mich bis zum Ende der Brücke begleiten. Natürlich, dachte ich. Mit Vergnügen.

Gemeinsam schlenderten wir die Küste entlang. Möwen begleiteten uns auf unserem Weg. Im starken Wind ließen sie sich treiben und segelten ohne Flügelschläge durch die Luft. Mit einem guten Blick schoss der Herr an meiner Seite das ein oder andere Foto von mir in schönster Location.  Auf der Brücke angekommen bewunderten wir eine Gruppe von Menschen, die ihr Glück im Fischen suchten. Unweit entfernt hatte es sich ein kleiner Seelöwe gemütlich gemacht. Nachdem ich mich ein paar Minuten mit einer Gruppe junger Studenten unterhalten hatte, stellte ich plötzlich fest, dass jemand an meiner Seite fehlte. Doch direkt hinter dem kleinen weißen Zelt stand er und schoss vergnügt mit einer großen Kamera viele Fotos von einem Pärchen, die zu Besuch in San Francisco waren. Es war toll, ihm von weitem zu zu sehen.  Er sah einfach glücklich aus, zufrieden. Wie gerne hätte ich ihn noch einige Zeit länger dort stehen und fotografieren lassen. Leider drängte die Zeit. Er hat es genossen: den Spaziergang, das Meer, die Sonne und den Wind. Auch wenn er müde und geschafft zurück am Van ankam, so lächelte er.  Ein Lächeln, wofür es sich jeden Tag erneut lohnt, aufzustehen.

Original: agesongtoday.com

Scary America

Sie diskutieren um ihre Zukunft, versuchen die besten Argumente und Antworten zu finden. Amerika schaut kritisch auf die beiden Kandidaten. Nur noch wenige Tage bis zur entscheidenden Wahl. Zum Glück gibt es hier noch ein oder zwei Bewohner, die einer Debatte zwischen Präsident Obama und Herausforderer Romney folgen können.

Es ist 18.30 Uhr. Gemeinsam mit einem Kurzzeitresidenten schaue ich gespannt auf den Fernseher. CNN überträgt die Debatte live. Im Hintergrund schreit eine Bewohnerin herum. Ihre Sätze haben weder Sinn noch Inhalt. Eine mexikanische Seniorin schüttelt am anderen Ende des Tisches den Kopf. Sie mag vielleicht nur wenig Englisch verstehen, aber auch ihr geht das laute Gequäke auf die Nerven. Ich drehe die Lautstärke auf.

AgeSong ist nicht nur Heim für alte und kranke Senioren. Vor drei Jahren wurde hier das begleitete und unterstützende Wohnen eingeführt. Für Menschen, die eine Zeit lang im Krankenhaus gelegen haben, stellt diese Institution eine Art Brücke dar. Sogenannte „Kurzzeitbewohner“ können hier wenige Wochen bzw. Monate wohnen, bürokratische, soziale, familiäre Angelegenheiten klären und dann sicherer und gesetzter nach Hause zurückkehren. Oft ist es leichter, mit ihnen zu arbeiten als mit den meisten Senioren hier. Sie sind noch nicht so physisch und psychisch eingeschränkt, wie die meisten Bewohner und oft wesentlich jünger.

Amerika wählt den Präsidenten – und Deutschland regiert ein Kaiser

Um Abstand von all‘ dem hier zu bekommen, fuhren wir Sonntagnachmittag nach Albany zum Bowlen. Unsere IJFD-Koordinatorin hatte uns eingeladen, sie und zwei ihrer Freunde zu begleiten.

Albany liegt 45 Minuten Zugfahrt von San Francisco entfernt. Es ist ruhig dort. Viel Trubel gibt es nicht. Das Bowlingcenter unterscheidet sich kaum von unseren in Deutschland. Somit war es nichts Besonderes für uns. P1000829_2Ich war nicht verwundert, dass ich gefragt wurde, ob ich schon einmal gebowlt hätte. Schließlich käme ich aus Deutschland und dort gäbe diesen Sport wohl kaum. Mich erstaunt hier nur noch wenig. Ein Mann hatte mich auch schon gefragt, wie das Leben unter einem Kaiser so sei. Ist Deutschland wirklich so weit weg?

P1000825_2Ein Bowlingspiel läuft hier nicht anders ab als bei uns. Kein Highlight, nichts Ungewöhnliches. Eben Bowling wie überall. Doch eins war wirklich niedlich: eine ca. drei Meter große Pin-Figur, tanzend zu einem amerikanischen Mega Hit – vergleichbar mit unserem Macarena-Tanz.

Dass Halloween in der Tür steht, kann niemand mehr übersehen. Jedes Schaufenster, jedes Geschäft und jedes Restaurant ist im Gruselfieber. Süßigkeiten mit dem speziellen Kürbisgeschmack, Eiscreme allá Kürbis, saure Kürbiswürmer, scharfe Kürbiskekse, Kürbisdekoration, Kürbismasken…Kürbis…Kürbis….Kürbis! Nicht zu vergessen die tausend Dracula – Figuren, künstliche Spinnennetze und Geisterkostüme. Welch‘ Abwechslung bot da die Drogerie, als ich meine ganz persönliche Favoritenmaske fand. Aber seht doch selbst… P1000844_3

Inzwischen ist es ruhiger geworden. Die einst kreischende Seniorin ist in ihrem Rollstuhl erschöpft eingeschlafen. Pünktlich zum Ende der Debatte.

credit, where credit is due

Es ist Samstag. Für gewöhnlich ein freier Tag – zum Entspannen, zum Abschalten. Gemütlich aufstehen, frühstücken und auf Tour gehen. Hier ist es sieben Uhr morgens. Statt frischer Luft zieht der Zigarettenqualm in unser Zimmer. Mitarbeiter und Senioren rauchen direkt vor unserem Fenster. Auf unsere Bitte, diese Rauchecke zu verlegen, wurde nicht eingegangen. Der Stammplatz der Bewohner sei unveränderbar. Ich ziehe meine Decke über den Kopf. Ignoriere das Geschrei draußen, den Lärm in Küche und Waschraum. Aber auch die gute flauschig warme Bettdecke von zu Hause hält einen solchen Krach nicht ab. Aufstehen um 7.10 Uhr, Samstagmorgen.

Zu zweit leben wir noch immer auf engstem Raum im Chaos. Mit unausgepackten Koffern, ohne Schrank und ohne Privatsphäre. Immer wieder werden wir vertröstet. Nur noch eine Woche müssten wir auf unsere neue Unterkunft warten. Es sei schließlich schon alles geregelt. So läuft das jetzt seit 35 Tagen. Wir kämpfen jeden Tag erneut, warten und hoffen auf Besserung und machen das Beste draus.

2012 Latino Heritage Month

Im schönsten Rock stand ich Dienstag Nachmittag in der Lobby und wartete auf meine Verabredung. In neunzig Minuten sollte es losgehen. Noch war genügend Zeit und ich wartete geduldig. Inzwischen habe ich mich an die Unpünktlichkeit der Amerikaner gewöhnt und gehe Termine etwas lockerer an.

Im Rathaus deP1000744_2r Stadt sollte der „2012 Latino Heritage Month“ gefeiert werden. Ein Event für alle Amerikaner mit lateinamerikanischer Herkunft. Der Bürgermeister von San Francisco City und Umgebung Ed Lee übergab den „2012 Latino Heritage Award“ an ganz besonders aktive Latinos im Bereich Bildung, Business, Kunst und Kultur, Gesellschaft, Gesundheit und Medizin, Medien sowie Wissenschaft. Eine besondere Ehre und ein ganz besondere Abend für alle Beteiligten.

17.30 Uhr. Zum fünften Mal rief ich meinen Begleiter an. Und tatsächlich: mit einer Verspätung von über 96 Minuten hielt ein Taxi genau vor der Tür. Sechs Minuten nach Veranstaltungsbeginn.

Das Rathaus ist ein unglaublichP1000802_2 pompöses Gebäude. Die Architektur einfach und schick. Als ich den Empfangsbereich betrat, musste ich durch eine Sicherheitskontrolle durch. Jacke, Tasche, Schmuck und andere Kleinigkeiten mussten abgelegt werden. Ich selbst wurde durch einen Body-Scanner geschickt. Wie immer piepste das Gerät. Die Security sah mich skeptisch an. Ich grinste, machte große Augen und zwinkerte ihn an. Mit einer kleinen Kopfbewegung verwies er auf die vor mir liegende Klamotten. Ich griff nach ihnen ohne wegzuschauen, legte meinen Schmuck wieder an, griff nach meiner Tasche und eilte schnellen Schrittes den anderen hinter her.

P1000761_2Der Festsaal war hell erleuchtet. Auf der kleinen Bühne spielten Musiker lateinamerikanische Musik, im Hintergrund ein Rednerpult und traditionell die Fahnen der USA, Kaliforniens und San Franciscos – wenn auch hinter schussfestem Glas. Für die Zuschauer gab es in Reihe aufgestellte Klappstühle aus hartem Holz. Klein und unbequem. Am Ende des Saals wurde ein Buffet aufgebaut mit den besten kalifornischen Weinen und einer Vielzahl lateinamerikanischer Snacks. Nach und nach füllte sich der Saal. Je unpassender und weniger hübsch gekleidet, umso mehr Geld schienen die Menschen zu haben. Die obere Gesellschaft versammelte sich hier. Und auch an Journalisten für Fernsehen und Zeitung mangelte es nicht.

Ehre, wem Ehre gebührt

Das Programm war kurz und knackig. Die Reden nicht zu lang oder gar langweilig. Die Geehrten wurden mit ihren Leistungen und Programmen, für die sie sich engagieren, vorgestellt. Im Gegenteil zu Deutschland jedoch war dies weniger wichtig. Viel interessanter war ihr Familienstand. Der eine war Vater von vier Kindern, ein guter Ehemann und Koch. Im Dachgeschoss die 90-jährige Mutter. Ein weiterer engagiert sich freiwillig in der Schule seiner Tochter zum weihnachtlichen Basteln und feiert jeden Sommer die schönsten Prinzessinnen-Partys. Zum Schluss die 24-jährige Studentin, deren Ehemann treu der US-Armee dient. Sie träumt von der Adoption ihres ersten Kindes aus Äthiopien. Beeindruckend, nur wurde mir bei vielen der Preisträger nicht klar, wofür sie nun wirklich den Award P1000799_2erhalten hatten.

Es war ein wunderbarer Abend. Nicht Jeder darf den „Mayor of the City and County of Sa Francisco“ so hautnah erleben, wird zu Fotos mit berühmten Moderatoren des amerikanischen Fernsehens hingezogen und schüttelt Politikern und außergewöhnlichen Musikern mal eben so die Hand. Ich hatte die Möglichkeit dazu. Fünf Wochen sind nun schon vergangen. Eigentlich bin ich stolz auf all‘ das, was ich bisher in San Francisco schon erleben durfte.

one hundred percent America

Noch vor einem Monat  schien das ständige Frage – Antwort – Spiel nach Befinden und Gemütszustand angenehm. Die Menschen zeigten Interesse, hießen uns willkommen. Mit der Zeit wurde es anstrengend. Die Fragen häuften sich, schienen nicht ernst gemeint und rein flüchtig zu sein. Am Ende der dritten Woche habe ich angefangen, abzublocken. Ein Nicken oder Lächeln genügte. Jetzt nach über einem Monat habe ich den Dreh raus. Der Trick besteht darin, den Anfang zu machen, die erste Frage zu stellen, von allein auf die Leute zu zugehen. So macht das kleine Frage – Antwort – Spiel  Spaß und mein Tag verläuft wesentlich lockerer und entspannter.

Inzwischen kehrt der Alltag ein. Wege und Handgriffe werden zur Routine, das Wochenprogramm wird immer mehr verinnerlicht, Termine und Gespräche werden lockerer angegangen als noch zu Beginn des IJFD‘s. So langsam sind mir die Senioren und ihre Lebensgeschichten vertrauter. Zeit, um über das Geschehen bei AgeSong hinaus zu schauen. Die U.S. Amerikaner sind bereit. Der sechste November steht kurz bevor. Tag der Präsidentschaftswahl.

Ein Mann für ganz Amerika

Es ist 16.30.  Feierabend. Von Ausruhen keine Spur. Mit Musik in den Ohren laufe ich schnellen Schrittes in Richtung Civic Center als ich auf eine Masse von Menschen stoße. Sie alle scheinen auf etwas zu warten. Überall Polizisten mit Waffen, Schusswesten, Schlagstöcken und natürlich großen schwarzen Sonnenbrillen. Parkende Busse und Journalisten an jeder Ecke. Auf der anderen Straßenseite das Bombenentschärfungskommando und die Leute vom Fernsehen. Ein Anschlag war es nicht, auch kein Attentat. Die Menschen kommen von überall her, aus jeder Nachbarschaft, ob arm, ob reich – einfach jeder. Sie alle wollen Karten, die Billigste für die letzte Reihe kostet 100 Dollar. Eine Frau hebt vor meinen AugeP1000732_2n energisch ein Schild nach oben: „Four more years!“ ruft sie mit allem, was ihre Stimme hergibt. Auf ihrem blauen T-Shirt steht in großen roten Buchstaben ‚Obama‘ geschrieben. Die Menge vor dem Symphonie-Theater wartet auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.

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Der Platz vor dem Rathaus füllt sich. Nicht nur mit Obamas Befürwortern. Menschen protestieren gegen den Krieg im Afghanistan, den Cannabisanbau oder die enorme Kontrolle im Staat.

Die Amerikaner leben diese Wahl. Sie zeigen offen, was und wen sie wollen. Nichts bleibt geheim, kein Getuschel und keine Heimlichtuereien wie auf deutschem Boden. Der Wahlkampf wird zur Party. Auf dem Rasen Artisten, die bis zu drei Meter lange Seifenblasen entstehen lassen. Fanartikel werden verkauft, darunter Poster, Buttons und T-Shirts. Laute Musik spielt im Hintergrund. Ein junger Herr mit Base-Cap und Caprihose kommt mir entgegen. In der Hand trägt er ein kleines Körbchen. Ich werfe einen Blick hinein und bin fasziniert. Er drückt mir einen kleinen Obama-Gummi-Kopf in die Hand – ein grinsendes Abbild des Präsidenten als Spardose für jedermann. „Fünf Dollar das Stück, drei für zehn.“ Der Mann sah  mich lächelnd an. Zwei weiter Frauen schauen interessiert in den Korb. Begeistert nehmen sie die Köpfe heraus und posen gerne für Fotos.  Aber trotz aller Bemühungen schaffen sie es nicht, mich vom Kauf eines solchen Erinnerungsstückes zu überzeugen.

Ich schaue mich um. Die Menge tobt. Die Atmosphäre ist unbeschreiblich. Ich komme ins Gespräch mit Obama-Anhängern. Eine Frau zieht mich auf ihre Seite des Bordsteines und versucht mich für Romney zu begeistern. Der Mann mit dem Körbchen voller Köpfen erlöst mich aus dem Redeschwall der eifrigen Wählerin. „Drei Dollar für die Lady aus Deutschland.“ Na gut, überzeugt. Jetzt besitze ich meinen ganz persönlichen grinsenden Obama auf dem Nachttisch.P1000700_2

90 Minuten später. Erste Zuschauer werden an die Theaterkasse gebeten. Glücklich winken sie mit ihren Tickets. Sie sind erleichtert, eine der Wenigen sein zu dürfen, die Obamas Rede live miterleben werden. Auf der anderen Seite stehen Anzugträger und Frauen in ihren schönsten Abendkleidern. Ehrengäste, Sponsoren oder Gefolge des Präsidenten. Auch sie müssen anstehen und warten. Barack Obama hat das Theater bereits über einen Hintereingang betreten. Doch hier weiß noch niemand etwas davon.

Die Sonne geht langsam unter. Es wird kalt. Vor meinem Heimweg bewundere ich noch einmal die riesig bunten Seifenblasen. Ich freue mich auf den sechsten November. Bis dahin werden die Menschen wohl weiter für ihren alten oder neuen Präsidenten kämpfen. Immer und überall. Und mit vollem Engagement.

the special place

Dass San Francisco die besonders spezielle Stadt der USA sei, wurde mir nun schon einige Male überschwänglich nahe gelegt. So einzigartig, so unglaublich und so  sonderbar soll die Stadt an der Westküste mit seinen rund 800.000 Einwohnern sein. Auch nach einem Monat bin ich noch immer auf der Suche nach dieser Einzigartigkeit, die mich so verzaubern soll.

Fleet Week

Events gibt es hier wie Sand am Meer. Dem einen Festival folgt das Nächste, Musikboxen und Mikrophone werden am Wochenende bis zum Qualmen überstrapaziert. Ballett, Symphonie und Oper streiten sich um Presse und Publikum. Das Highlight der ersten Oktoberwoche: die Fleet Week.

Menschen und Massen kamen an diesem Wochenende nach San Francisco um U.S. Navy und Marine Corps in vollem Glanz zu erleben. Wettstreit der Segel- und Rennboote im „America’s Cup“, Präsentationen der schönsten Millitärschiffe im San Pablo Bay und als Höhepunkt die Flugshow der bereits über amerikanische Grenzen hinaus bekannten „Blue Angels“ –  Kunstflugstaffel der U.S. Navy.

Fast 90 Minuten brauchten meine Mitfreiwillige und ich, um von unserer Haustür zum Fishermen’s Wharf zu gelangen. Die Fleet Week ist das Event schlecht hin. Seit 1981 traditionell in der Stadt am Pazifik. Man hatte Besucher von überall her erwartet. Es wäre also der perfekte Zeitpunkt gewesen, um Straßenbahnen mit zwei Wagons oder gar extra Busse einzuführen, damit dem bevorstehenden Verkehrschaos vorgebeugt werden konnte. Nun ja, warum einfach, wenn es auch kompliziert geht.

In der Straßenbahn lernte ich  Hank kennen. In den letzten vier Stunden hatte er als freiwilliger Helfer Touristen und Besuchern der Fleet Week in den verschiedensten Zügen geholfen, den Weg zum Fishermen’s Wharf oder zur Golden Gate Bridge zu finden. Jetzt hatte er Feierabend und nur noch einen Besucher, dem er unbedingt helfen musste: mich. Ein Lächeln. Ein Wort. Ein Handzeichen. Ich hängte mich an seine Fersen, während er schnellen Schrittes durch die Massen fegte. Hier und da ein kleiner Hinweis zu Mc Donalds, Wachsmuseum und Co. In kürzester Zeit erreichten wir den Strand, wo sich schon unglaublich viele Leute tummelten. Ab und zu ein Blick nach hinten, ob mich meine Mitfreiwillige noch nicht verloren hatte. ‚Entschuldigung, dürfte ich mal? – Danke. Ähm, könnte ich da mal bitte durch? – Vorsicht. – Ja, ich mP1000630_2üsste da mal vorbei. – Achtung, da steht ein Bier. – Sorry…‘ Ich ließ meine Augen nicht von Hanks Base Cap. Irgendwann stand ich zwischen spielenden Kindern und Baseball-Fans im Sand. „Werd sandig, werd dreckig. Du bist hier bei der Fleet Week. Das gehört dazu!“ Hank grinste mich an. Ok. Wenn er das so sagte…

Das Vorprogramm war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns später erwarten würde. In der Zwischenzeit zeigte uns Hank, wie gut amerikanische Schokolade schmecken kann, welches Restaurant das amerikanischste Fast Food zubereitet und welche Schleichwege die Günstigsten sind, um diese Menschenmenge zu umgehen. Er lud mich auf meinen  ersten original kalifornischen Wein ein und pünktlich zu den ‚Blue Angels‘ saßen wir wieder im Sand.

The Blue Angels

Mit bis zu 600 Meilen pro Stunde rasten die Flieger aufeinander zu. Ein Ausweichen schien nahezu unmöglich. Die Piloten forcierten einander, steuerten gradewegs auf einander zu. Doch dann ein Aufatmen. In letzter Sekunde eine 90 Grad Wendung und sie kreuzten sich haarscharf. Für einen kurzen Augenblick verschwand das Sechstett hinter den Wolkenkratzern San Franciscos. Nur ein enormer Geräuschpegel der Flugzeuge war noch zu hören.

Von rechts als Linie, als Pfeil, über einander, unter einander. Zu P1000653_2viert, zu sechst, als Doppel. Sie kamen als Block angedüst und trennten sich wie Silvesterraketen am blauen Himmel, Dunstwolken hinter sich herziehend. Sie malten Kreise und Linien in den Himmel. Mit viel Fantasie waren Zeichen und Symbole erkennbar. Ein Feuerwerk der U.S.Navy Kunstflieger bei strahlend blauem Himmel zwischen Golden Gate und Bay Bridge. Vielleicht wäre ich geblieben, hätte mich noch länger mit den Massen mitreißen lassen. Doch langsam ging die Sonne am Horizont unter und der eisige Wind ließ auch die letzte Sommerwärme verschwinden. Völlig durchgefroren kam ich wieder bei AgeSong an. Zurück bleibt meine Erinnerung an einen ganz besonderen Ort.

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