Es ist Samstag. Für gewöhnlich ein freier Tag – zum Entspannen, zum Abschalten. Gemütlich aufstehen, frühstücken und auf Tour gehen. Hier ist es sieben Uhr morgens. Statt frischer Luft zieht der Zigarettenqualm in unser Zimmer. Mitarbeiter und Senioren rauchen direkt vor unserem Fenster. Auf unsere Bitte, diese Rauchecke zu verlegen, wurde nicht eingegangen. Der Stammplatz der Bewohner sei unveränderbar. Ich ziehe meine Decke über den Kopf. Ignoriere das Geschrei draußen, den Lärm in Küche und Waschraum. Aber auch die gute flauschig warme Bettdecke von zu Hause hält einen solchen Krach nicht ab. Aufstehen um 7.10 Uhr, Samstagmorgen.
Zu zweit leben wir noch immer auf engstem Raum im Chaos. Mit unausgepackten Koffern, ohne Schrank und ohne Privatsphäre. Immer wieder werden wir vertröstet. Nur noch eine Woche müssten wir auf unsere neue Unterkunft warten. Es sei schließlich schon alles geregelt. So läuft das jetzt seit 35 Tagen. Wir kämpfen jeden Tag erneut, warten und hoffen auf Besserung und machen das Beste draus.
2012 Latino Heritage Month
Im schönsten Rock stand ich Dienstag Nachmittag in der Lobby und wartete auf meine Verabredung. In neunzig Minuten sollte es losgehen. Noch war genügend Zeit und ich wartete geduldig. Inzwischen habe ich mich an die Unpünktlichkeit der Amerikaner gewöhnt und gehe Termine etwas lockerer an.
Im Rathaus der Stadt sollte der „2012 Latino Heritage Month“ gefeiert werden. Ein Event für alle Amerikaner mit lateinamerikanischer Herkunft. Der Bürgermeister von San Francisco City und Umgebung Ed Lee übergab den „2012 Latino Heritage Award“ an ganz besonders aktive Latinos im Bereich Bildung, Business, Kunst und Kultur, Gesellschaft, Gesundheit und Medizin, Medien sowie Wissenschaft. Eine besondere Ehre und ein ganz besondere Abend für alle Beteiligten.
17.30 Uhr. Zum fünften Mal rief ich meinen Begleiter an. Und tatsächlich: mit einer Verspätung von über 96 Minuten hielt ein Taxi genau vor der Tür. Sechs Minuten nach Veranstaltungsbeginn.
Das Rathaus ist ein unglaublich pompöses Gebäude. Die Architektur einfach und schick. Als ich den Empfangsbereich betrat, musste ich durch eine Sicherheitskontrolle durch. Jacke, Tasche, Schmuck und andere Kleinigkeiten mussten abgelegt werden. Ich selbst wurde durch einen Body-Scanner geschickt. Wie immer piepste das Gerät. Die Security sah mich skeptisch an. Ich grinste, machte große Augen und zwinkerte ihn an. Mit einer kleinen Kopfbewegung verwies er auf die vor mir liegende Klamotten. Ich griff nach ihnen ohne wegzuschauen, legte meinen Schmuck wieder an, griff nach meiner Tasche und eilte schnellen Schrittes den anderen hinter her.
Der Festsaal war hell erleuchtet. Auf der kleinen Bühne spielten Musiker lateinamerikanische Musik, im Hintergrund ein Rednerpult und traditionell die Fahnen der USA, Kaliforniens und San Franciscos – wenn auch hinter schussfestem Glas. Für die Zuschauer gab es in Reihe aufgestellte Klappstühle aus hartem Holz. Klein und unbequem. Am Ende des Saals wurde ein Buffet aufgebaut mit den besten kalifornischen Weinen und einer Vielzahl lateinamerikanischer Snacks. Nach und nach füllte sich der Saal. Je unpassender und weniger hübsch gekleidet, umso mehr Geld schienen die Menschen zu haben. Die obere Gesellschaft versammelte sich hier. Und auch an Journalisten für Fernsehen und Zeitung mangelte es nicht.
Ehre, wem Ehre gebührt
Das Programm war kurz und knackig. Die Reden nicht zu lang oder gar langweilig. Die Geehrten wurden mit ihren Leistungen und Programmen, für die sie sich engagieren, vorgestellt. Im Gegenteil zu Deutschland jedoch war dies weniger wichtig. Viel interessanter war ihr Familienstand. Der eine war Vater von vier Kindern, ein guter Ehemann und Koch. Im Dachgeschoss die 90-jährige Mutter. Ein weiterer engagiert sich freiwillig in der Schule seiner Tochter zum weihnachtlichen Basteln und feiert jeden Sommer die schönsten Prinzessinnen-Partys. Zum Schluss die 24-jährige Studentin, deren Ehemann treu der US-Armee dient. Sie träumt von der Adoption ihres ersten Kindes aus Äthiopien. Beeindruckend, nur wurde mir bei vielen der Preisträger nicht klar, wofür sie nun wirklich den Award erhalten hatten.
Es war ein wunderbarer Abend. Nicht Jeder darf den „Mayor of the City and County of Sa Francisco“ so hautnah erleben, wird zu Fotos mit berühmten Moderatoren des amerikanischen Fernsehens hingezogen und schüttelt Politikern und außergewöhnlichen Musikern mal eben so die Hand. Ich hatte die Möglichkeit dazu. Fünf Wochen sind nun schon vergangen. Eigentlich bin ich stolz auf all‘ das, was ich bisher in San Francisco schon erleben durfte.